Datenschutzexperte empört

«300'000 persönliche Impfdaten gammeln beim Kanton vor sich hin»

25.01.2023, 07:26 Uhr
· Online seit 25.01.2023, 07:19 Uhr
Seit Juni 2022 ist bekannt, dass mehrere Hunderttausend Daten der inzwischen eingestellten Online-Plattform «meineimpfungen.ch» beim Kanton Aargau liegen. Seitdem werden diese geprüft. Nicht akzeptabel, sagt der Experte. Doch was hat der Kanton mit diesen Daten vor?
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Die Plattform «meineimpfungen.ch» wurde im März 2021 wegen schwerwiegender Sicherheitsmängel vom Netz genommen. Mit der anstehenden Liquidation der Stiftung meineimpfungen.ch waren Hunderttausende Datensätze von Menschen in der ganzen Schweiz gefährdet. Auf Initiative der Stammgemeinschaft eHealth Aargau (SteHAG), des Kantons Aargau und des BAG und in Abstimmung mit dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (EDÖB) und dem mit dem Fall betrauten Konkursamt wurde ein letzter Anlauf genommen, um die Daten an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben. Das verantwortliche Konkursamt will mit der Zustimmung des EDÖB die Daten dem Kanton Aargau übertragen, um zu verhindern, dass diese mit dem Abschluss des Löschungsverfahrens definitiv vernichtet werden.

Daten «gammeln» vor sich hin

Es schien fast so, als wäre der Fall in Vergessenheit geraten. In seinem Anwaltsblog nahm Martin Steiger, Rechtsanwalt für Datenschutz, das Thema wieder auf. Grund: Steiger habe ebenfalls seine Daten bei meineimpfungen.ch hinterlegt. «Ich will, dass meine Daten endlich gelöscht werden. Das habe ich bereits dem Konkursamt mitgeteilt und vor Kurzem auch der Stammgemeinschaft eHealth Aargau», so Steiger auf Anfrage von ArgoviaToday.

Seine Anfrage stiess er jedoch auf taube Ohren: «Sie haben mir gesagt, dass das nicht möglich ist, da sie in einem Vorprojekt stecken.» Was es genau mit diesem Vorprojekt auf sich hat, weiss Steiger jedoch nicht und auch nicht, wie der aktuelle Stand ist. «Wäre es ein erfolgreiches Projekt, würde es sicherlich schon lange kommuniziert werden.» Solange die Daten jedoch nicht gelöscht würden, können sie zu jeglichen Zwecken weiterverwendet werden, fügt der Medienanwalt an.

Will der Aargau die Daten für das elektronische Patientendossier nutzen?

Der Datenschutzexperte geht davon aus, dass die Impfdaten der 300'000 Betroffenen beim Kanton vor sich hin «gammeln». «Meine Vermutung ist, dass das elektronische Patientendossier anhand der Daten gefördert werden soll», gibt Steiger an. Dies soll das BAG auch bereits klar kommuniziert haben. «Schweizerinnen und Schweizer wollen dieses elektronische Patientendossier nicht freiwillig machen», sagt er. Bislang sei es extrem unbeliebt. «Sie zählen bisher gerade einmal rund 1000 Nutzerinnen und Nutzer». Dass der Kanton nun im Besitz von den 300'000 persönlichen Daten von meineimpfung.ch sind, könne sich derweil als sehr «interessant» herausstellen.

Galatti als Befürworter

Warum sich ausgerechnet der Kanton Aargau für die Übernahme der Daten von meineimpfung.ch eingesetzt hat, dafür hat Steiger eine Vermutung: «Einer der grössten Befürworter der elektronischen Patientendossiers ist die Stammgemeinschaft eHealth Aargau.» Dazu hat sich der Aargauer Landammann Jean-Pierre Gallati als erster Nutzer dem elektronischen Patientendossier angeschlossen.

Ebenso gross galt das Interesse der Datenrettung bei Gallati. Er habe sich nicht nur politisch, sondern auch mit Staatsgeldern für die Rettung der Daten eingesetzt, sagt der Anwalt. Der Rechtsexperten prognostiziert allerdings, dass eine Rettung der Daten fast unmöglich scheint. «Für eine Rettung, müsste man die Impfdaten verifizieren können oder diese an die Betroffenen verschickt.» Das hat die Stiftung bereits gemacht, wurde jedoch vom EDÖB stark kritisiert. Ein erneuter Versuch kam daher nicht zustande.

Vorprojekt wird momentan immer noch geprüft

Wie es derzeit um das Vorprojekt steht und wann mit einem ersten Ergebnis gerechnet werden kann, hat ArgoviaToday bei eHealth angefragt. So soll momentan im Rahmen des genannten Vorprojekts geprüft werden, ob die Daten für eine datenschutzkonforme Rückgabe an die Nutzerinnen und Nutzer geeignet sind. «Das Vorprojekt wird aktuell abgeschlossen. Die nächsten Informationen folgen voraussichtlich Mitte Februar 2023», gibt Nicolai Lütschg, Geschäftsführer bei eHealth, auf Anfrage an. Fällt das Vorprojekt positiv aus, soll ein Hauptprojekt folgen. In diesem soll nun herausgefunden werden, wie es mit den Datenschutzrechten der Betroffenen weitergehen soll. «Entweder kommt es zu einer Vernichtung der Daten oder zu einem Bezug der Daten.» Letzteres würde bedeuten, dass es optional zu einer Übernahme in ein allenfalls bestehendes elektronisches Patientendossier kommen kann, wie Lütschg bekannt gibt.

Bis zu dieser Entscheidung werden die Daten gesichert und ohne Zugangsmöglichkeiten aufbewahrt. Auskunfts- oder Löschungsbegehren von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern können daher erst nach Abschluss eines allfälligen Folgeprojekts beantwortet werden. «Das ist allerdings keine akzeptable Antwort. Werden Daten in der Schweiz bearbeitet, dann müssen die auch kontrolliert werden», meint Steiger. Weiter will der Rechtsanwalt dranbleiben: «Es könnte vor allem dann interessant werden, wenn das neue Datenschutzgesetz am 01. September 2023 in Kraft tritt. Das Datenschutzrecht wird dann verschärft, betroffene Personen haben dann mehr Möglichkeiten.»

veröffentlicht: 25. Januar 2023 07:19
aktualisiert: 25. Januar 2023 07:26
Quelle: ArgoviaToday

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