Geburtstrauma

Aargauerin gründet Selbsthilfegruppe: «Viele wissen nicht, an wen sie sich wenden können»

· Online seit 16.02.2023, 05:51 Uhr
Nach einer traumatischen Geburt kann eine Therapie sehr unterstützend wirken. Daneben bietet eine Selbsthilfegruppe eine gute Ergänzung. Allerdings gibt es in der Schweiz und im Aargau nur wenige Angebote, die sich mit Geburtstrauma beschäftigen. Dies soll sich nun ändern.
Anzeige

Die Geburt eines Kindes ist in der Regel ein Erlebnis, welches grosse Freude auslösen soll. Doch manche Geburten verlaufen dramatisch und anders als gehofft und auch gewünscht. Vor allem bei Müttern können diese Erfahrungen seelisch und körperlich ein Leiden auslösen.

Ein Geburtstrauma entsteht oft durch Komplikationen bei der Geburt oder durch unangenehme Erlebnisse in Zusammenhang mit dieser. Manche Frauen haben besonders starke Schmerzen erlitten, andere haben sich grosse Sorgen um ihr Kind oder um die eigene Gesundheit gemacht. Den Kontrollverlust und das Gefühl, den Wehen oder auch der Hebamme und den Ärzten ausgeliefert zu sein und selbst keinen Einfluss auf das zu haben, was in ihnen und um sie herum passiert, erleben einige Frauen als sehr traumatisch und belastend.

Auch Rahel erlebte eine traumatische Geburt – sowohl körperlich als auch mental. Nicht zu wissen, wie es der eigenen Tochter geht, die räumliche Trennung von ihr sowie auch die folgenden vier Operationen, die Rahel durchmachen musste, haben ein Trauma verursacht. Daneben fühlte sich die junge Mutter oft alleine gelassen: «In der Schweiz gibt es noch ein Betreuungsdefizit.»

Nachdem sie aus dem Kantonsspital entlassen worden war, durfte sie vier bis sechs Wochen nichts Schweres heben. «Ich habe zwei kleine Kinder und mir wurde damals frisch ein Katheter gelegt. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie löse ich das», berichtet Rahel. Das sei eine schwere Zeit gewesen. «Ich hing nur am Telefon und wollte herausfinden, wo und welche Hilfe ich bekommen kann. Ich hatte null Unterstützung.» Darüber hinaus erzählt sie, dass sie in dieser Zeit viel Enttäuschung erfahren habe. «Zuerst habe ich bei der Mutter-Vater-Beratung angerufen, dort hiess es dann, dass das Kantonsspital Aarau intern einen Sozialdienst habe, der mich unterstützen und abklären sollte, wie man mich körperlich entlasten könne.»

Bedürfnisse wurden nicht gedeckt

Anschliessend habe eine Sozialarbeiterin Rahel angerufen und ihr erläutert, welche Optionen nun greifen, was sie gemeinsam angehen könnten. «Ich musste aber fast alles situationsbedingt ablehnen. Spitex oder eine Haushaltshilfe standen im Raum, für den Haushalt habe ich Unterstützung bekommen. Aber ich hätte jemanden für die Kinder gebraucht, und zwar rund um die Uhr.» Die eigentlichen Bedürfnisse wurden so nicht gedeckt. «Die Kleine brauchte Tag und Nacht noch den Schoppen und ich habe eine rundum Betreuung gebraucht.» Die junge Familie konnte sich das aber nicht leisten. «Auch zwei Notfallplätze in einer Kita kam nicht infrage. Zwei kleine Kinder für vier bis sechs Wochen jeweils täglich in die Kita bringen– das ist der finanzielle Ruin. Subventionen für die Notfallplätze über die Gemeinde kam ebenfalls nicht in Frage, da hierfür mein Mann ein zu hohes Einkommen hatte.»

In Deutschland gibt es Mutter-Kind-Kurhotels, in denen sich Mütter gemeinsam mit ihren Kindern nach einer traumatischen Geburt erholen und eine Verbindung aufbauen können. «In der Schweiz gibt es so etwas Vergleichbares noch nicht. Es gibt zwar Institutionen, die aber vermehrt auf postnatale Depressionen spezialisiert sind und sich noch zu wenig mit Geburtstrauma auseinandersetzen.» Das will Rahel nun ändern. Gemeinsam mit der Selbsthilfe Aargau baut sie gerade eine Selbsthilfegruppe auf, der einen Raum für Frauen öffnen soll, indem sie sich austauschen, sich gegenseitig unterstützen und füreinander da sein können.

«Die Selbsthilfegruppe wird schon recht schnell zustande kommen», so Angela Mosimann von der Selbsthilfe Aargau. «Wir haben jetzt schon fünf oder sechs Personen auf der Liste, wir brauchen noch eine, dann können wir starten.» Das Bedürfnis nach so einer Gruppe scheint gross zu sein. «Es betrifft auch viele und viele wissen bisher noch nicht wirklich, an wen sie sich wenden können und wir wollen eine erste Anlaufstelle bieten», fügt Mosimann an. «Man kann vorbeikommen, sich das anschauen und fühlen, ob es das Richtige ist oder auch einfach wieder gehen, wenn man merkt, es passt nicht», meint sie.

Jedoch betont sie auch, dass eine Selbsthilfegruppe niemals eine Therapie ersetzen könne, sondern ergänzend wirke. «Für Betroffene kann das sehr wohltuend sein, mit Personen zu reden, die dasselbe erlebt haben und verstehen können, was in einem vorgeht. Sie werden mit all ihrem Schmerz, mit ihren Ängsten und Sorgen verstanden und vor allem gesehen.» Zudem bieten Selbsthilfegruppen die Möglichkeit, Angehörige zu entlasten. «Es ist doch oft so, dass Verwandte, Freunde oder Angehörige, die eine komplizierte Geburt nicht selbst erlebt haben, mit dem Thema zuweilen überfordert sind und nicht recht reagieren können.»

Die erste Gruppe soll zunächst in Brugg starten. «Die Rückmeldungen waren so gross, dass wir nun im Familienzentrum in Brugg starten. Ob dann eine Weitere dazu kommt, steht aktuell noch nicht fest. Wir schauen erst mal, woher die Menschen kommen.»

veröffentlicht: 16. Februar 2023 05:51
aktualisiert: 16. Februar 2023 05:51
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch