Bezirksgericht Baden

Handwerker wegen unrechtmässigen Bezugs von Arbeitslosengeld vor Gericht

· Online seit 08.02.2023, 05:50 Uhr
Ein knapp 60-Jähriger hatte auf einem Formular der Arbeitslosenkasse die Frage nach der Arbeitstätigkeit mit «Nein» angekreuzt, obwohl er für Temporärbüros arbeitete. Die Kasse erstattete Anzeige. Die Staatsanwaltschaft forderte einen Landesverweis.
Louis Probst
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Mit amtlichen Formularen lässt sich nicht spassen. Das musste ein knapp 60-jähriger Bauhandwerker erfahren, der sich wegen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung – von Arbeitslosengeldern – vor Gericht zu verantworten hatte.

Spass gemacht hatte der Mann, der nur über sehr beschränkte Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, zwar nicht. Er hatte aber auf dem Formular «AdVP» («Angaben der versicherten Person») der Arbeitslosenkasse die Frage nach der Arbeitstätigkeit mit «Nein» angekreuzt, obwohl er für Temporärbüros arbeitete.

Die Arbeitslosenversicherung zahlte ihm darauf für drei Monate insgesamt gut 10'500 Franken aus (Inzwischen hat er den Betrag bis auf einen kleinen Rest zurückgezahlt). Die Kasse erstattete Anzeige. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. Sie beantragte eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 80 Franken, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie eine Busse von 900 Franken. Zudem forderte die Anklägerin, dass der Beschuldigte, der italienischer Staatsangehöriger ist, für fünf Jahre des Landes zu verweisen sei.

Ein Sprachproblem und Missverständnis

Vor Bezirksgerichtspräsident Patrick Jegge als Einzelrichter liess der Beschuldigte durch die Übersetzerin ausrichten, dass er die deutsche Sprache nicht kenne. Er habe gedacht, dass es sich bei der Entschädigung um eine Art Kredit handle. Er hätte daher sofort reagiert, als ihn die Arbeitslosenkasse kontaktiert habe und erklärt, dass er den Betrag ratenweise zurückzahlen werde. Die Kasse habe ihn jedoch angezeigt. «Es war nie meine Absicht, Geld entgegenzunehmen, das mir nicht zusteht», versicherte er.

Er sei nicht sehr lange arbeitslos gewesen, sagte der Beschuldigte, der vor einigen Jahren wegen der Arbeit in die Schweiz gekommen ist und seine in Italien lebenden erwachsenen Kinder finanziell unterstützt und damit seiner Tochter ein Studium ermöglicht. Während einiger Monate habe er Aufträge von Temporärbüros angenommen, obwohl er beim RAV angemeldet gewesen sei. Beim RAV habe man ihm geraten, angemeldet zu bleiben. Das Formular habe er erst nicht richtig verstanden. Er habe es mit Hilfe eines Freundes ausgefüllt, der ihn aufs RAV begleitet habe.

Auf die Frage des Vorsitzenden, weshalb denn die Formulare vor und nach den fraglichen drei Monaten richtig ausgefüllt worden seien, meinte der Beschuldigte, dass er für diese drei Monate das Formular eines Vormonats als Vorlage verwendet und dabei nicht daran gedacht hätte, die Änderungen anzugeben. Bei den korrekt ausgefüllten Formularen hätte er Hilfe gehabt. Es tue ihm leid, dass er die Formulare falsch ausgefüllt habe, beteuerte er. Er habe das nicht mit Absicht getan.

Zur drohenden Landesverweisung erklärte der Beschuldigte, der heute in einer Festanstellung als Teamleiter arbeitet, dass er in Italien keine Chance sehe, Arbeit zu finden. «Ich bin zu alt», sagte er. «Mein Mindestlohn ist wegen meines Alters zu hoch. Firmen bevorzugen jüngere Leute mit tieferem Lohn. Ich musste in die Schweiz kommen, um meinen Kindern helfen zu können. Das ist die Pflicht eines Vaters.»

Verteidiger fordert einen Freispruch

«Der Beschuldigte hat das falsche Formular abgeschrieben», so der Verteidiger. «Der Sachverhalt ist anerkannt. Die Absicht aber wird verneint. Mein Mandant hat das Formular nicht verstanden. Seine Aussagen sind glaubhaft. Auch bei der Einvernahme hat ein Polizeibeamter festgestellt, dass der Beschuldigte einen glaubwürdigen Eindruck hinterlasse.» Der Verteidiger beantragte Freispruch. Für den hypothetischen Fall eines Schuldspruches sei von einem leichten Fall auszugehen und von einer Strafe abzusehen.

Das Gericht gelangte zu einem Schuldspruch, ging bei seinem Urteil aber von einem leichten Fall aus. Es verurteilte den Beschuldigten zu einer Busse von 2000 Franken und zur Übernahme der Kosten. «Der Tatbestand ist erfüllt», so Gerichtspräsident Jegge zum Urteil. «Der Beschuldigte hat gewusst, dass er diese Angaben machen muss oder aber straffällig wird. Das Formular wäre einfach zu übersetzen gewesen.» Angesichts der kurzen Bezugsdauer der Entschädigung, der Rückerstattung und der geringen kriminellen Energie sei eine Busse von 2000 Franken angemessen.

veröffentlicht: 8. Februar 2023 05:50
aktualisiert: 8. Februar 2023 05:50
Quelle: Aargauer Zeitung

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