Bezirksgericht Baden

Über 60 km/h zu viel: Töfffahrer zeigt Reue für sein Raserverhalten

01.05.2022, 14:36 Uhr
· Online seit 01.05.2022, 14:34 Uhr
30 Jahre lang hat sich ein Motorradfahrer nichts zu Schulden kommen lassen. Dann kam es zu einem verhängnisvollen Überholmanöver zwischen Künten und Busslingen. Vor dem Bezirksgericht Baden rang der 55-Jährige bei einer Frage mit den Worten.
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Es ist ein kühler, aber sonniger Samstagnachmittag im Februar, als Markus (Name geändert) Gas gibt. Der Motorradfahrer beschleunigt seine schwere Honda auf der geraden und übersichtlichen Landstrasse ausserorts von Künten nach Busslingen.

Er überholt zwei Autos. Gegenverkehr gibt es keinen. Doch bei der nächsten Kreuzung hält ihn eine Polizistin an – und nimmt ihm den Führerausweis ab. Den Töff muss er stehen lassen.

Laut Messung hatte Markus seine Honda auf 147 Kilometer pro Stunde beschleunigt. Nach Abzug der Toleranz waren das 63 km/h zu viel. Ab deren 60 greift der sogenannte Raserartikel.

Kein notorischer Raser

Nun handelte es sich bei Markus um einen 55-Jährigen aus dem Kanton Zürich, der nicht zum Stereotyp des Rasers passt, wie sich an der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Baden zeigte.

Während sich jüngere Raser für ihren Auftritt vor Gericht schon mit Anzug und Gelfrisur wie für ein Bewerbungsgespräch herausgeputzt hatten, erscheint Markus, kurze graue Haare und Kinnbart, in unauffälliger grauer Jacke gekleidet. Durch eine markante schwarze Brille zu Gerichtspräsident Christian Bolleter blickend, sagte er schon bald: «Ich schäme mich dafür, es ist mir peinlich.»

Jene Polizistin habe ihn an jenem Samstag gefragt, ob er wisse, wieso sie ihn angehalten habe. Ihm sei klar gewesen, dass er zu schnell gefahren war. Aber so schnell? «Ich dachte erst, es kann gar nicht sein, dass ich im Raserbereich war», schildert er sein anfängliches Erstaunen. Er habe das Resultat der Messung aber nie angezweifelt.

Einmal sagt er vor Gericht: «Ich bin kein Raser.» Ein anderes Mal: «Ich bin ein Raser vom Gesetz her. Ich sehe das auch ein. Sonst fahre ich wirklich immer korrekt.» Vor und nach jenem Überholmanöver sei er 80 gefahren.

In der Regel ein gemütlicher Fahrer

Der Geschwindigkeitsrausch bringe ihm keine Befriedigung. Seine Töffkollegen seien von seiner Raserfahrt schockiert gewesen. Markus erklärt: Bei gemeinsamen Fahrten mit Kollegen würden andere auf ihn, den gemütlichen Fahrer, warten.

Gegenüber seinem Arbeitgeber, einer Hightechfirma, habe er gleich die Karten auf den Tisch gelegt. Seine Kollegen übernehmen nun Pikettdienste für ihn. «Ich habe sie ein paar Mal zum Mittagessen eingeladen», führt er aus. Er habe zu ihnen ein gutes Verhältnis. Zur Arbeit gelangt er nun per ÖV. Pikettdienst übernimmt er teilweise wieder. Muss er mal ausrücken, wird ihn nun seine Ehefrau chauffieren müssen.

Markus hat sich in den fast 30 Jahren im Strassenverkehr zuvor nie etwas zu Schulden kommen lassen. Auch in strafrechtlicher Hinsicht nicht, wie Bolleter mit Verweis auf die Akten festhielt. Doch eine Frage bleibt –und der Gerichtspräsident stellt sie Markus: «Was reitet Sie, in diesem Moment so viel zu schnell zu fahren?»

Markus schweigt einige lange Sekunden. Er blickt nach rechts, nach unten. «Das kann ich Ihnen auch nicht sagen», sagt er dann leise. «Ich wollte so schnell wie möglich an diesen Autos vorbei.» Sein Rasermanöver bleibt ihm selbst ein Rätsel. Markus: «Wieso hast du das gemacht? Dieser Gedanke beschäftigt mich jeden Tag.»

Bei Markus kam es zu einem abgekürzten Verfahren. Dabei verständigen sich Staatsanwaltschaft und Beschuldigter auf einen Urteilsvorschlag, den das Gericht absegnet. Christian Bolleter sprach von einem idealtypischen Fall hierfür: «Es handelt sich um einen Ersttäter, der alles sofort gesteht, kooperativ und bereit ist, die Konsequenzen zu tragen.»

Ein Raser wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr verurteilt, die bedingt, also auf Bewährung ausgesprochen werden kann. Markus erhielt 13 Monate bedingt (2 Jahre Probezeit) – also eine Strafe im unteren Bereich. Die Strafe sei «absolut angebracht», sagte Bolleter. Dazu kommen eine Busse von 3000 Franken, Verfahrens- und Anwaltskosten.

Wie lange er auf seinen Führerausweis verzichten muss, blieb unklar, zumal dies Sache des Strassenverkehrsamts ist. «Das Fahren vermisse ich sehr», sagt der 55-Jährige. Auf den Pflichttermin mit der Verkehrspsychologin freut er sich aber. «Dann geht es einen Schritt weiter.»

(Philipp Zimmermann, Aargauer Zeitung)

veröffentlicht: 1. Mai 2022 14:34
aktualisiert: 1. Mai 2022 14:36
Quelle: Aargauer Zeitung

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