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Verwaltungsgericht rüffelt Stapo Baden für Wegweisung von Nationalratskandidat

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Verwaltungsgericht rüffelt Stapo Baden für Wegweisung von Nationalratskandidat

· Online seit 13.09.2023, 18:21 Uhr
Stephan Zurfluh wurde von der Stadtpolizei Baden samt seiner Gitarre aus der Stadt gewiesen, weil er sich «aggressiv verhalten und Passanten belästigt» haben soll. Dagegen wehrte sich der 62-Jährige erfolgreich. Das Verwaltungsgericht sieht die Sache anders. Und rügt die Polizei und den Badener Sicherheitschef im Urteil.

Quelle: Tele M1 / Beitrag vom 31.08.2023

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Eine ungewöhnliche Geschichte, welche die anstehenden Wahlen in Baden schreiben. Ein Kandidat, der von der Polizei aus der Stadt gewiesen wird. Viel Verwirrung, wer eigentlich wen beleidigt hat und ein Verwaltungsgerichtsurteil, das kein gutes Haar am Vorgehen der Stadtpolizei und deren Chef lässt. Doch von vorn: Der 62-jährige Stephan Zurfluh kandidiert als «Einzelmaske» auf der Liste 13 für den Nationalrat. Für die Wahl am 22. Oktober wollte er am 30. August samt Gitarre und Liedern in Baden auf sich aufmerksam machen und Flyer verteilen.

Wer hat hier wen rassistisch beleidigt und bepöbelt?

Laut Wegweisungsverfügung der Stadtpolizei Baden hatten Passanten dem Notruf gemeldet, dass sie von Zurfluh rassistisch beleidigt und aggressiv angepöbelt worden seien. Die Rollen seien genau umgekehrt gewesen, erklärt Zurfluh. Und gibt an, er sei es gewesen, der die Polizei gerufen habe. Tele M1 zeigte er auf seinem Handy den ausgehenden Anruf an die Kantonale Notrufzentrale 117. Er fand kein Gehör, die Stapo wies ihn weg und verhängte eine dreimonatige Fernhaltungsverfügung – die Maximaldauer.

Richter kritisiert Polizeiarbeit 

Schwierig für den 62-Jährigen, der in Baden wohnt. «Ich kann nicht mal mehr ins Schwimmbad», sagte er im Interview mit Tele M1. Und legte beim Aargauer Verwaltungsgericht Beschwerde gegen die Verfügung ein.

Dessen Urteil, welches ArgoviaToday vorliegt, hebt die Verfügung nun auf. Es sei nicht erwiesen, dass Zurfluh tatsächlich rassistisch beleidigend gewesen wäre, was eine Wegweisung wegen drohender Eskalation der Lage gerechtfertigt hätte. Und Einzelrichter Marc Busslinger fügt im Urteil an, dass das vorgeworfene Verhalten bestritten und von den Polizisten nicht bezeugt werden könne.

Vorfall nicht ausreichend geklärt

Daher «geht es nicht an, einzig auf einen Journaleintrag der Kantonalen Notrufzentrale abzustellen und diesen nicht einmal als Kopie zu den Akten zu legen», steht im Urteil. Ausserdem hätten die Polizisten die scheinbar beleidigten und angepöbelten Personen ermitteln und deren Aussagen protokollieren müssen. Diese seien beim Eintreffen mit grosser Wahrscheinlichkeit noch vor Ort gewesen.

Da Zurfluh den Polizisten auch mitgeteilt hatte, er habe Zeugen für den Vorfall, hätten die Einsatzkräfte diese auch einvernehmen müssen. Weil nicht geklärt sei, wer den Streit ausgelöst hat, könne Zurfluh nicht «rechtsgenüglich vorgeworfen» werden, er habe die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet. Nicht gerade ein Lob für gute Polizeiarbeit.

Stellungnahme des Sicherheitschefs hilft auch nicht

Und auch der Sicherheitschef der Stadt Baden, Martin Brönnimann, kriegt sein Fett weg. Dieser hatte auf Zurfluhs Beschwerde hin eine Stellungnahme an das Gericht verfasst und beantragt, die Verfügung aufrechtzuerhalten. Darin sieht Richter Busslinger weitere Probleme: So liessen Brönnimanns Verweise auf Nutzungsregeln von öffentlichem Grund nicht darauf schliessen, dass der Nationalratskandidat im Sinn einer politischen Kundgebung verstossen habe. Höchstens gegen die generelle Bewilligungspflicht in der Cordulapassage könnte der 62-Jährige verstossen haben.

Aber selbst dann sei die Massnahme bezüglich Rayon und Dauer von drei Monaten unverhältnismässig und aufzuheben. Es hätte mildere Massnahmen gegeben. Ausserdem schreibe Brönnimann in der Stellungnahme nicht mehr von rassistischen, sondern nur noch von Beleidigungen. Er rügt auch, dass in dem Schreiben steht, man habe Stephan Zurfluh vorgängig mehrfach über die Regelungen erläutert, dieser sich diesem Regelwerk «nicht unterwerfe». «Derartige pauschale Vorwürfe» genügten nicht, eine Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit zu belegen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

veröffentlicht: 13. September 2023 18:21
aktualisiert: 13. September 2023 18:21
Quelle: ArgoviaToday

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