Überraschender Entscheid

Wettingen übernimmt Vorreiterrolle bei Gratis-Tampons

05.07.2022, 09:26 Uhr
· Online seit 05.07.2022, 09:12 Uhr
Kehrtwende im Parlament: Der Wettinger Einwohnerrat sagt Ja zur Motion von Mia Gujer (SP) und Andreas Leuppi (WettiGrüen). Der Gemeinderat hatte sich zuvor gegen Gratis-Tampons in öffentlichen Gebäuden ausgesprochen.
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Die Menstruation sei eine «Privatangelegenheit der Frauen», fand der Aargauer Regierungsrat noch im vergangenen Herbst, und lehnte einen SP-Vorstoss ab, der forderte, dass in öffentlichen Gebäuden künftig Gratis-Tampons und -Binden aufliegen sollen. Der Grosse Rat folgte der Regierung mit 78 Nein- zu 49 Jastimmen.

Selbiges wiederholte sich nun in Wettingen. Allerdings mit anderem Ausgang. Im grössten Dorf des Kantons reichten die Einwohnerräte Mia Gujer (SP) und Andreas Leuppi (WettiGrüen) im März 2021 eine Motion ein für Gratis-Tampons in öffentlichen Gebäuden. Der Gemeinderat lehnte sie ab, der Einwohnerrat aber stimmte letzte Woche dem Anliegen zu.

Unter den fortschrittlichsten Gemeinden der Schweiz

«Ich bin positiv überrascht», sagt Mia Gujer, die anfangs noch dachte, der Vorstoss sei möglicherweise zu progressiv für eine Gemeinde wie Wettingen. Doch nun zählt Wettingen auf diesem Gebiet zu den fortschrittlichsten Gemeinden der Schweiz.

Das Zürcher Stadtparlament sprach sich kürzlich für Gratis-Tampons an Schulen und in öffentlichen WCs aus. Die Stadt Luzern führt das Angebot an Schulen ein. Nicht überall in der Schweiz wird die Gratisabgabe von Menstruationsartikeln aber als Aufgabe des Staates angesehen: In den Kantonen Luzern, Bern und Wallis haben sich die Kantonsparlamente wie im Aargau dagegen ausgesprochen.

Ein Anliegen aus persönlicher Erfahrung

In Sondierungsgesprächen mit den anderen Einwohnerratsfraktionen habe sie realisiert, dass der Vorstoss wohl mehr Anklang finde als ursprünglich gedacht, sagt Gujer. «Vor allem vielen Frauen war es aus persönlicher Erfahrung ein Anliegen», so Gujer.

In der Einwohnerratssitzung sei die Stimmung dann endgültig gekippt. In den Voten sprachen sich Gujer und Manuela Ernst (GLP) für den Vorstoss aus. Ernst zählte bereits im Grossen Rat zu den Befürworterinnen.

Frauen im Einwohnerrat in der Minderheit

In der Abstimmung waren SP, WettiGrüen, GLP und auch Einwohnerratspräsident Lutz Fischer-Lamprecht (EVP) für den Vorstoss. Aus den ablehnenden Fraktionen und von den Männern enthielten sich einige der Stimme. Am Ende waren es 24 Ja-Stimmen, 19 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen.

Im Wettinger Einwohnerrat sitzen 21 Frauen und 29 Männer. Bei der letzten Wahl zählten GLP und WettiGrüen zu den Gewinnern, die Mitte blieb aber trotz Verlusten stärkste Partei.

Weiterer Vorstoss als Druckmittel

Gujer hielt einen weiteren Trumpf in der Hand, um Druck auf das Parlament auszuüben. Für den Fall eines Neins hatte sie bereits ein Folge-Postulat angekündigt, das von 16 Einwohnerrätinnen aus allen Fraktionen ausser der SVP unterzeichnet worden war. «Ich glaube, das hat seine Wirkung nicht verfehlt», sagt Gujer.

Die neue Version hatte sich auf die Schulen konzentriert. Da der Vorstoss nun aber im ersten Anlauf angenommen wurde, bleiben auch öffentliche Gebäude wie das Rathaus, das Tägi oder Räume der Jugendarbeit Teil der Vereinbarung.

Mit Scham behaftetes Thema

Gujer ist es ein Anliegen, jungen Frauen, gerade Schülerinnen, einen unkomplizierten Umgang mit der Men­struation zu ermöglichen. Häufig sei dieser mit Scham behaftet und es falle Mädchen schwer, beispielsweise eine Lehrperson um Tampons zu bitten. In Zukunft soll dieses Problem mit Automaten gelöst werden. Tampons werden wie WC-Papier oder Seife gratis zur Verfügung gestellt.

(Andreas Fretz/Aargauer Zeitung)

veröffentlicht: 5. Juli 2022 09:12
aktualisiert: 5. Juli 2022 09:26
Quelle: Aargauer Zeitung

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