Verrücktes Hobby

Cyrill Steiger weckt alte Schaufensterpuppen aus ihrem «Dornröschenschlaf»

· Online seit 19.05.2022, 17:00 Uhr
Cyrill Steiger rettet Schaufensterpuppen aus dem Müll, macht sie wieder hübsch und stellt sie zu Hause auf. Warum und wie sein spezielles Hobby mit einer verflossenen Liebe zu tun hat, verrät er im Interview.
Anzeige

«Ein guter Bekannter von mir ist mit seinem Kleidergeschäft Konkurs gegangen», erklärt Cyrill Steiger gegenüber ArgoviaToday die Geburtsstunde seines ausgefallenen Hobbys. «Und da habe ich ihm eine Schaufensterpuppe abgekauft, die er sonst vermutlich weggeschmissen hätte.» Natürlich habe er seinem Kollegen damit einen Gefallen machen wollen, doch – und dies sagt Cyrill Steiger mit einem verschmitzten Lächeln und einem Augenzwinkern – diese Puppe sei einer verflossenen Liebe von ihm schon auffallend ähnlich gewesen. Wenig später kam eine zweite, dann eine dritte Schaufensterfigur hinzu. «Irgendwann wurde es zu meiner Passion, sie vor ihrer Vernichtung zu bewahren und sie im Sinne der Rettung alten Kulturguts zu sehen.»

Inspirationen bereits in der Jugend

Gerne erinnert sich Cyrill Steiger an seine Grossmutter väterlicherseits, die als Bildhauerin Menschen manchmal auch in voller Lebensgrösse aus Lehm modellierte, woraus am Ende aus Bronze Statuen gegossen wurden. «Je vertiefter ich mich mit dem Thema Schaufensterfiguren beschäftigte, desto mehr war ich davon fasziniert», erinnert er sich.

Seine Tante und seine Grossmutter mütterlicherseits waren Schneiderinnen. Früh bekam er deshalb das Flair von der damaligen französischen Haute Couture mit – Dior, Yves oder Saint Laurent. Cyrill Steiger ist von Beruf Mode- und Werbefotograf.

Nachhaltige «Gebrauchskunst»

Alte Schaufensterpuppen sind laut Steiger immer auch ein Spiegel der Zeit, in welcher sie produziert und in den Geschäften verwendet wurden. Man spreche von «Gebrauchskunst», führt Cyrill Steiger aus und er wolle diesem kulturellen Erbe, welches sonst in Vergessenheit gerate, einen ihm würdigen Platz anbieten. Er bezeichnet diesen Ort als «Ponyhof», als eine Rettungsinsel, auf der sie sorgfältig gereinigt, wenn nötig repariert und das Make-up aufgefrischt werden. «Falls notwendig werden auch aus zwei defekten Figuren eine zusammengeschustert», sagt er. Weil sich Cyrill Steiger sehr gut auskennt und die verschiedenen Hersteller und deren Serien erkennen kann, wird nichts unnötig weggeworfen.

Das Styling als Endprodukt

Jäger lassen ihre Trophäen ausstopfen und hängen sie an die Wand. Groundhopper tragen die besuchten Fussballstadien in eine Liste ein. «Und was machen Sie mit den Schaufensterpuppen, Herr Steiger?», wollte ArgoviaToday von ihm wissen. «Keins von beiden», meint er lachend. Bei ihm sei das Endprodukt ein passendes Styling, welches sich aber auch immer wieder ändern könne. Aus dieser Sicht sei jedes Mannequin für sich genommen ein möglichst ansprechendes Gesamtkunstwerk. Die Kleider bezieht Cyrill Steiger in Brockenhäusern und auf Flohmärkten. Dort sah ihn auch schon eine Verkäuferin fragend an: «Ist das für die Freundin?» Er antwortete: «Welche meinen Sie? Die Ex? Die ist weg – habe ich verkauft!» Gemeint ist natürlich die Puppe.

veröffentlicht: 19. Mai 2022 17:00
aktualisiert: 19. Mai 2022 17:00
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch