Volksschule

«Der Lehrplan 21 ist für alle eine Überforderung» – Schulleiter sorgt sich um die Zukunft der Schulen

03.06.2023, 09:40 Uhr
· Online seit 03.06.2023, 09:20 Uhr
Seit über 40 Jahren ist Björn Bestgen als Lehrer in Lengnau AG engagiert - inzwischen ist er gar Schulleiter. Und er schlägt Alarm: «Wenn wir jetzt nichts unternehmen, geht die Volksschule kaputt.»
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In den letzten 40 Jahren hat sich vieles verändert – auch an der Schule in Lengnau. Damals gab es zum Beispiel grössere Klassen, es gab noch keinen Lehrplan 21 und generell seien die Welt und die Schulklassen in der Zwischenzeit «komplexer und anspruchsvoller» geworden, sagt Björn Bestgen im Interview mit der «Schweiz am Wochenende». Vor etwas mehr als 40 Jahren hatte Bestgen seinen ersten Tag als Lehrer an der Schule in Lengnau, heute ist er Schulleiter. «Für jedes einzelne Kind das Beste zu wollen – diese Erwartungshaltung war uns damals fremd», sagt er. Eine Klasse mit 33 Kindern, wie damals, sei heute nicht mehr zu bändigen.

Bestgen sieht den Lehrplan 21 als Problem. «Der Lehrplan 21 ist für alle eine Überforderung!» Von den Kindern werde immer mehr verlangt. «Wahrscheinlich muten wir ihnen zu viel zu.» Bestgen fordert Qualität statt Quantität. «Wir müssen uns auf das Wesentliche einigen, das nimmt Druck weg.»

Integration gelingt ganz gut

In Lengnau seien aktuell viele Familien aus osteuropäischen Ländern. Die Eltern der Kinder werden als Arbeitskräfte geholt, aber «an die Kinder aus ganz anderen Kulturen wird zu wenig gedacht». Es werde verlangt, dass die Schulen die Probleme wie selbstverständlich lösen. Im Grossen und Ganzen erfolgt die Integration sehr gut, aber «es gibt immer Klassen, die wegen Einzelfällen nicht mehr funktionieren, wie sie funktionieren müssten».

Ein Lehrer im Klassenzimmer reicht nicht mehr

Nebst den kulturellen und sprachlichen Barrieren innerhalb des Schulzimmers kommen aber auch immer noch Sonderfälle dazu. Diese Schülerinnen und Schüler benötigen mehr Aufmerksamkeit und eine besondere Betreuung, aber die Sonderschulen sind voll und daher bleiben die Störenfriede in den Klassen. «Aktuell suche ich für vier Kinder eine Sonderschule. An einer Institution, bei der ich nachgefragt habe, hiess es, sie habe zwei freie Plätze, aber 90 Anfragen», sagt Bestgen und fühlt sich vom Kanton nicht ernst genommen. Das Problem sei dem Kanton bekannt, aber es wird zu wenig schnell gehandelt. «Wenn wir jetzt nichts unternehmen, geht die Volksschule kaputt.»

«Ich rede nicht so gern über Löhne, weil ich kein Jammeri bin»

Björn Bestgen wird immer mehr zum Krisenmanager. «Ich finde keine Lehrpersonen. Wenn jemand krank wird, kann ich ihn nicht ersetzen. Am Sonntag habe ich oft Angst, dass wieder ein Anruf kommt und sich jemand krankmeldet.» Das System sei am Anschlag angelangt.

Die besten Lehrerinnen und Lehrer laufen den Volksschulen davon und unterrichten an Privatschulen – dort verdienen sie auch besser. «Unsere Volksschulen machen einen Wahnsinnsjob, aber das wird nicht genügend anerkannt.» Für die Kinder seien die ersten Jahre der Volksschule die wichtigsten und daher sollten diese Lehrpersonen auch die bestbezahlten sein, so Bestgen. «Ein Kanti-Lehrer verdient viel mehr, obwohl er viel mehr Freiheiten und viel weniger Problemfälle hat.»

«Es ist ein Traumberuf»

Trotz aller Steine, die Bestgen in den Weg bis anhin gelegt wurden, er würde alles nochmal genauso machen und sich immer wieder für den Lehrer-Beruf entscheiden. «Es gibt keinen besseren, keinen spannenderen, keinen vielseitigeren Beruf.»

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(rag/hsa)

veröffentlicht: 3. Juni 2023 09:20
aktualisiert: 3. Juni 2023 09:40
Quelle: Schweiz am Wochenende

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