Kantonale Abstimmung

Einigung bei der Amtsenthebungsinitiative – was bedeutet das?

· Online seit 16.05.2022, 05:37 Uhr
Fast 85 Prozent der Aargauer Wählerschaft hat am Sonntag für die Amtsenthebungsinitiative gestimmt. So ein deutliches Ergebnis haben sich die Befürwortenden gewünscht, die Gegnerinnen und Gegner haben es befürchtet. Was bedeutet nun diese Initiative und wann greift sie?
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131'696 Aargauerinnen und Aargauer haben am Sonntag «Ja» zur Amtsenthebungsinitiative gesagt. Lanciert wurde diese bereits Anfang 2019 von der ehemaligen Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP). Für die Amtsenthebungsinitiative waren die Regierung sowie alle Parteien bis auf die FDP. Es ist seit zehn Jahren die erste Initiative im Aargau, die angenommen wurde.

Was will die Initiative? 

Der Initiativtext ist recht kurz gehalten. Darin wird verlangt, dass mit einem Satz die Kantonsverfassung ergänzt werden soll. «Das Gesetz regelt die Einstellung im Amt und die Amtsenthebung von Mitgliedern von Behörden.» Laut den Initianten soll damit die Möglichkeit geschaffen werden, Personen ihres Amtes zu entheben. Dazu müsste allerdings ein neues Gesetz ausgearbeitet werden. Vorbild soll die Regelung des Kantons Graubünden sein. Nach einem Untersuchungsverfahren kann das Kantonsparlament mit einer dreiviertel Mehrheit einen Regierungsrat oder -rätin absetzen. Die abgesetzte Person könnte den Entscheid vor dem Verwaltungsgericht anschliessend anfechten.

Da solche Verfahren länger dauern und gerichtlich anfechtbar sind, ist es jedoch nicht eindeutig, wie viel sich nun mit der Annahme im Real-Politikgeschäft tatsächlich ändert.

Ein Gesetz für den Ausnahmefall?

Damit soll nun in der Verfassung die Möglichkeit verankert werden, dass Regierungsrätinnen und Grossräte in besonders schweren Fällen des Amtes enthoben werden können. Darunter fallen unter anderem Amtsmissbrauch oder auch gesundheitliche Probleme. Kann ein Mitglied das Amt wegen schwerwiegender gesundheitlicher Probleme nicht mehr ausüben und auch keine persönliche Rücktrittserklärung abgeben, käme das Gesetz auch zur Anwendung.

Bisher war es so geregelt, dass ordentlich gewählte Mitglieder im Aargau alle vier Jahre bei den Wahlen wieder- oder abgewählt werden konnten. Daher ist vorausschauende Rechtssetzung wichtig, denn es ist nicht möglich spontan ein entsprechendes Gesetz einzuführen, wenn es tatsächlich gebraucht wird, wie die «Aargauer Zeitung» schreibt. Solche Fälle seien allerdings äusserst selten, so Befürworterin Maya Bally (die Mitte). Jedoch müssen die Regierung und weitere Behörden stets handlungsfähig bleiben. Fällt ein Mitglied aus, muss dieses ersetzt werden und zwar, bevor die Legislaturperiode von vier Jahren vorbei ist.

Damit das Gesetz greift, muss ein Regierungsmitglied erst straffällig werden? 

Nicht unbedingt. Ein Regierungsratsmitglied, welches sich einer Straftat schuldig macht, wäre zwar betroffen, genauso wie ein Behördenmitglied, das seinen Amtspflichten nicht nachkommt oder schwerwiegend verletzt. Das war beim ehemaligen FDP-Politiker und Genfer Staatsrat Pierre Maudet der Fall. Dieser hatte 2018 eine Reise im Wert von mehreren 10'000 Franken nach Abu Dhabi unternommen, die vom hiesigen Königshaus bezahlt wurden. Maudet gab an, die Reise privat unternommen zu haben, allerdings habe er vor Ort den Kornprinzen und Verteidigungsminister getroffen. Und zwar in seiner Funktion als Staatsrat. Der Regierungsrat entzog ihm daraufhin einen Teil seiner Aufgaben. Auch der Vorstand der FDP forderte ihn zum Rücktritt auf, was er allerdings erstmal zurückwies. Erst zwei Jahre später kündigte er seinen Rücktritt an und gab an, auch bei seiner Ersatzwahl wieder antreten zu wollen. So lange bliebe er im Amt. Die Neuwahl verlor er 2021. Mittlerweile ist Pierre Maudet vor dem Genfer Polizeigericht wegen Vorteilsnahme verurteilt worden.

Sind die Grundlagen für ein Amtsenthebungsverfahren immer klar?  

Alles in allem hat die Angelegenheit um Maudet knapp drei Jahre angedauert. Auf Grundlage dessen wurde die Initiative im Aargau lanciert. Bei der ehemaligen Aargauer Regierungsrätin Franziska Roth sieht der Fall nicht so eindeutig aus. 2019 verkündete die SVP-Politikerin auf einer Medienkonferenz ihren Austritt aus der Partei und sprach in Zusammenhang mit Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen von «Nötigung». Über die eigene Partei hinaus waren der Gesundheitsdirektorin Überforderung, mangelndes Interesse oder schlechte Kommunikation vorgeworfen worden

Die Frage ist hier: Reicht das schon für eine Amtsenthebung? «Das Entscheidende ist und bleibt die Umsetzung», so GLP-Grossrat Adrian Bircher auf Nachfrage von ArgoviaToday. Dennoch sehe er anhand der Gewaltenteilung und damit verbunden der Rechtstaatlichkeit gewisse Schwierigkeiten, ein ordentlich gewähltes Mitglied aus dem Amt zu entheben, wenn es nicht eindeutig verurteilt wurde, erklärt er. «Ausserdem muss genau festgelegt und geprüft werden, was unter Amtsmissbrauch falle, fügt Bircher an. «Jetzt muss sich der Grosse Rat dafür einsetzen, dass das Gesetz so umgesetzt wird, damit es tragbar ist.»

Im Zweifel für den Angeklagten? 

Auch im Fall Carlo Conti ist die Sachlage nicht deutlich bestimmbar. Im Jahr 2014 informierte der ehemalige CVP-Politiker und Basler Regierungsrat die Öffentlichkeit über Ungereimtheiten bei den Honorarabrechnungen in Höhe von etwa 111'000 Franken und gab recht überraschend seinen Rücktritt bekannt. Auch das Strafverfahren gegen ihn wurde 2015 eingestellt, da sich er Tatbestand des Betrugs nicht erfüllte und Conti den entstanden Schaden vollumfänglich geleistet hatte. «Zuerst heisst es immer ‹in dubio pro reo›, also im Zweifel für den Angeklagten», so Maya Bally. «Sollte ein Mitglied allerdings vor Gericht eindeutig verurteilt werden, kann dann ein Amtsenthebungsverfahren geprüft und anschliessend eingeleitet werden.» Das könne sich jedoch über längere Zeit ziehen und wäre auch nicht unbedingt schneller als die nächsten Wahlen, bemängelt Gegner Bircher.

Nach dem Vorbild kommunaler Behörden?

Im Kanton Aargau können Mitglieder kommunaler Behörden gemahnt, bei schweren Vergehen oder Versäumnissen sogar entlassen werden. Darunter fallen auch Strafuntersuchungen wegen eines schweren Vergehens oder Verbrechens im Amt. Geplant ist die Möglichkeit der Amtsenthebung auf die höchsten politischen Exekutivämter auszudehnen, zum Beispiel der Regierungsrat. Unter gewissen Voraussetzungen soll auch die Amtsenthebung für Parlamentsmitglieder möglich werden.

Der ehemalige Wohler Gemeindeammann Walter Dubler wurde seines Amtes enthoben, weil er sich an der Pensionskasse bediente. Für die Aargauer Regierung waren wohl zwei Punkte massgebend, um ihn anschliessend zu suspendieren. Zum einen, weil gegen ihn ein Strafverfahren wegen mehrfachen Betrugs und ungetreuer Geschäftsbesorgung lief – er wurde freigesprochen – und zum anderen hatte der Gemeinderat beantragt, Dubler für die Dauer des Verfahrens zu beurlauben. Anschliessend liess er sich nicht mehr zur Neuwahl aufstellen. Der ehemalige Badener Stadtammann ist in Folge der «Nackt-Selfie»-Affäre von der Stadtexekutive vorübergehend von seinen Führungs- und Repräsentativaufgaben entbunden worden. Die Oberstaatsanwaltschaft Aargau verzichtete jedoch darauf, ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs gegen Müller einzuleiten. Bei den anschliessenden Nationalratswahlen trat Müller nicht mehr an. Drei Jahre später wurde Müller von den Badenerinnen und Badenern als Stadtamman abgewählt.

Wer soll künftig beim Amtsenthebungsverfahren entscheiden? 

«Die Regierungsräte sollen entscheiden, gegen wen ein Verfahren eingeleitet werden soll», erläutert Maya Bally. «Es ist nicht angedacht, dass das Volk eine Amtsenthebung vorschlagen kann, sondern es soll auf kantonaler Regierungsebene geprüft und entschieden werden.»

Kennst du weitere Beispiele, wo eine Amtsenthebung gemäss der Initiative zur Diskussion gestanden wäre? Schreib es uns in die Kommentare

veröffentlicht: 16. Mai 2022 05:37
aktualisiert: 16. Mai 2022 05:37
Quelle: ArgoviaToday

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