Männer in Strumpfhosen

Freiämter Drag Queen: «Wir sind das Sinnbild der Schwulenszene»

· Online seit 02.10.2022, 06:11 Uhr
Was in Grossstädten wie Berlin zur Normalität gehört, findet mittlerweile auch in der Schweiz Anklang. Unter Tonnen von Make-Up und fabulösen Perücken stecken Personen jeglicher Herkunft und Ideale. Moritz aus Merenschwand kennt man in der Drag-Queen-Szene als Miss Moe Tivation.
Anzeige

Mit dem Bühnenprogramm «Drag Queens – Fabulös im Freiamt» weckte er grosses Interesse im Aargau: Moritz Bütler stellte diesen Sommer eine Show auf die Beine, welche die erste ihrer Art im Freiamt war. Die drei Drag Queens Amélie Putain, Vio la Cornuta und Miss Moe Tivation haben Extravaganz, Power und Glamour nach Bremgarten gebracht und über das Thema «Queer aufwachsen» gesprochen, gesungen und getanzt.

Was ist Drag?

Für Moritz, Moe oder Miss Moe Tivation ist es schwierig zu erklären, was Drag denn wirklich für die breite Masse bedeutet. Entstanden ist die Kunstform vermutlich zu Zeiten von Shakespeare, als Frauen auf den Theaterbühnen noch nichts verloren hatten. Und sich somit Männer in die Frauenrolle begeben mussten. Möglicherweise nennt man es deshalb D-R-A-G, als Akronym von «Dressed As A Girl».

Heute steht Drag für Inklusion, repräsentiert die queere Community und ist deshalb irgendwo auch politisch. Für Moritz ist es klar eine Kunstform als Bühnenperformance. Doch jede Drag habe eine eigene Definition und nicht jede Drag sei mit jeder Definition einverstanden. Während die einen es als Selbstausdruck verstehen, möchten andere damit die Schwulenkultur feiern.

«Das Schwulste, das mir einfiel»

Mit 18 Jahren hat sich Moritz das erste Mal in Miss Moe Tivation verwandelt. Dort hat sie sich allerdings noch nicht so genannt. Für seine Matura-Arbeit an der Kanti Wohlen drehte er ein Musikvideo zu «If I Were A Boy» von Beyoncé. «Ich hatte ziemlich Mühe mit meinem Coming-Out, deshalb dachte ich einfach, ich mache das Schwulste, das mir einfällt», erinnert sich der 26-Jährige. Beim Dreh merkte Moritz schnell, dass er jede Menge Spass daran hat und er auch gut darin ist.

Vom Dorf in die Grossstadt

Nach der Kanti begann Moritz eine Ausbildung zum Maskenbildner. Er musste feststellen, dass die Ausbildung in der Schweiz mühsame Hürden mit sich bringt und es einfacher wäre, das Handwerk in Deutschland zu erlernen. Damit begannen für den jungen Mann aus Merenschwand drei Jahre Ausbildung in der Grossstadt Berlin. Dort bekam er die Möglichkeit, in eine ganz andere Welt einzutauchen – und es gefiel ihm. «All die verschiedenen Leute, Drag-Formen und Stories kennenzulernen hat unglaublich Spass gemacht», schwärmt er heute. Er besuchte wöchentlich mehrere Drag-Shows und begann selbst, vereinzelt aufzutreten. Nach abgeschlossener Ausbildung lebt er heute wieder in Merenschwand.

Wie unterscheidet sich Moritz zur Kunstfigur?

Nachdem er die Szene leibhaftig kennen und lieben lernte, startete er selbst als Miss Moe Tivation durch. Doch wie unterscheidet sich Moritz zu Miss Moe Tivation? «Zwei Kilo Makeup, eine Perücke und ganz viele Kostüme. Sonst eigentlich nichts», erklärt Moritz wie aus der Pistole geschossen. Er gibt sich in seiner Rolle nicht anders, wird aber anders wahrgenommen. «Bei Auftritten in Drag nehmen mich die Leute ernster und meine Witze landen besser. Sie zollen mir mehr Respekt." Es komme aber schon auch vor, dass er in einer weniger affinen Umgebung mit Verwirrung wahrgenommen wird: "Im Zug wird man oft angestarrt.»

Wie unterscheidet sich die Stadt vom Land?

Während die Drag-Queen in Berlin gerne und oft angesprochen wird, beschreibt sie die Reaktionen im Dorf anders: «Im ländlichen Gebiet werde ich meistens höflich schweizerisch angestarrt. In Berlin wird man oft nach einem Selfie gefragt und bejubelt, während man im Dorf heimlich fotografiert wird.» Moritz weiss, dass die Menschen an so eine Erscheinung nicht gewohnt sind und vermutet deshalb keine Böswilligkeiten dahinter. Die Skepsis ist er sich gewohnt und ist genau aus diesem Grund auch als Drag Queen öffentlich unterwegs. Er repräsentiert die Szene und bringt die Berliner Freimut ins Freiamt.

Wie entstehen die kreativen Verkleidungen?

Bei den bunten Kostümen hilft Moritz’ Mutter gerne nach. Sie näht ihm die Basis und nach seinem Konzept erweitert er die Kleider. Alles Erdenkliche wie Steine oder Tüll klebt er anschliessend auf den Stoff. Ein Korsett und das sogenannte «Padding» – zu Deutsch Polsterung – hilft dem maskulinen Körper zur formbetonten Frauenfigur. Moritz schneidet sich Schaumstoffe selbst in die passende Hüftform, was nicht einfach sei. Er versucht, die Formen möglichst realitätsnah (oder etwas grösser) zu schustern. «Als Vorlage dient der Umriss von Afrika, der an die Formung einer Frauenhüfte erinnert», erklärt der Profi und schmunzelt. Beidseitig wird die Polsterung in mehreren Schichten von Strumpfhosen verstaut. Diese verdecken anschliessend die Ecken und Kanten der Einlagen.

Was ist das Ziel?

Moritz wäre für jemand anders gerne die Person, die er in jungen Jahren selbst gebraucht hätte. «Sofern ich einer queeren Person mit ihrem Coming-Out helfen kann, habe ich mein Ziel erreicht.» Ihm geht es nicht nur um Selbstdarstellung und er möchte nicht das grosse Geld mit seinen Shows verdienen. Spass und Sensibilisierung stehen im Vordergrund.

veröffentlicht: 2. Oktober 2022 06:11
aktualisiert: 2. Oktober 2022 06:11
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch