Aargauer Regierung

Berufsfahrer sollen trotz Ausweisentzug weiterfahren dürfen

16.08.2021, 09:57 Uhr
· Online seit 16.08.2021, 07:44 Uhr
Künftig sollen Bus-, Taxi- oder LKW-Fahrer ihren Job trotz Führerausweisentzug weiter ausüben dürfen. Der Applaus für die neue Regelung hält sich in den meisten Kantonen in Grenzen. Nicht so im Aargau: Dieser stimmte allen Forderungen ohne Einschränkungen zu.
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Der Aargau stimmt den Forderungen aus der nationalen SP-Motion «Nein zur doppelten Strafe für Berufsfahrer und Berufsfahrerinnen» ohne Einschränkungen zu. Dies geht aus den entsprechenden Vernehmlassungsantworten des Kantons Aargau hervor. Konkret geht es darin um folgende drei Punkte: Erstens soll es den kantonalen Behörden künftig möglich sein, Berufsfahrerinnen und -fahrern trotz Ausweisentzug Fahrten zur Berufsausübung zu erlauben. Als «Berufslenker oder Berufslenkerinnen» gelten jene Personen, die mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit hinter dem Steuer sitzen – also etwa Lastwagenchauffeure, Pizzakuriere sowie Bus- und Taxifahrerinnen.

Allerdings (Punkt 2) soll diese Regelung nur greifen, wenn die betroffene Person leicht und nicht wiederholt gegen die Verkehrsregeln verstossen hat – also beispielsweise noch nie mit mehr als 0,8 Promille oder unter Drogen am Steuer erwischt wurde. Der dritte Punkt, welchem der Aargauer Regierungsrat ohne Einwände zugestimmt hat, beinhaltet folgende Forderung: Der betroffenen Person darf in den vergangenen fünf Jahren nicht mehr als einmal die Fahrerlaubnis entzogen worden sein.

Weniger Begeisterung aus dem Rest der Schweiz

Dass der Aargau allen drei Forderungen uneingeschränkt und kompromisslos zustimmt, überrascht. Wirft man nämlich einen Blick auf die Vernehmlassungsantworten der anderen Kantone, zeigt sich deutlich mehr Widerstand. Die Anfrage von ArgoviaToday, weshalb der Aargau allen Forderungen zustimmte, blieb unbeantwortet.

Besonders hart ins Gericht mit der geplanten Revision gehen die Kantone Nidwalden, Uri und Luzern. So beginnt das Schreiben aus Nidwalden mit folgenden Worten: «Wir erlauben uns die Bemerkung, dass bei einer Übernahme dieser Bestimmung die präventive Wirkung eines drohenden Ausweisentzuges verloren gehen könnte.» Es gehe um falsche Anreize, die geschaffen würden und um eine fehlende Rechtsgleichheit. So hält auch Zürich explizit fest, dass die Neuregelung den Grundsatz der Rechtsgleichheit verletze.

In die Zange nimmt der einwohnerstärkste Kanton auch die Definition des Berufsfahrers oder der Berufsfahrerin. So gebe es neben Berufslenkern viele weitere Personen, die von einem Ausweisentzug existenziell betroffen seien. Auf diese Problematik hatte übrigens auch Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga im Ständerat aufmerksam gemacht, indem sie die Frage einbrachte, ob ein Kaminfeger oder ein Aussendienstmitarbeiter auch Berufsfahrer sei – der Ausweisentzug eines Kaminfegers beispielsweise könne auch zu einem Jobverlust führen.

Weitere Kritik, die in mehreren Kantonen laut wird, ist die Gefahr des Missbrauchs und die schwierige Überprüfbarkeit des differenzierten Entzugs. Aus Basel heisst es dazu: «Beim selbständig erwerbenden Handwerker wird es schier unmöglich sein, weil praktisch für jede Fahrt eine Begründung wie ‹Kundenakquisitionsbesuch›, ‹Augenschein›, oder dergleichen aus dem Ärmel gezogen werden kann.» Ähnlich harte Worte kommen aus Basel-Stadt und Schwyz: «Dem Missbrauch ist Tür und Tor geöffnet.»

Keine Zahlen zu Ausweisentzug von Berufslenkenden

In der Schweiz werden jährlich rund 80'000 Führerscheine entzogen. Wie viele davon Berufschauffeure betreffen, darüber kann man keine Angaben machen, wie das Bundesamt für Strassen ASTRA bestätigt. Klar ist, dass die Mehrheit der Entzüge auf zu schnelles Fahren und Angetrunkenheit zurückzuführen sind.

Am vergangenen Mittwoch endete die Vernehmlassungsfrist. Die Antworten der Kantone werden derzeit vom Bundesamt für Strassen ASTRA ausgewertet.

veröffentlicht: 16. August 2021 07:44
aktualisiert: 16. August 2021 09:57
Quelle: ArgoviaToday

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