In der ganzen Schweiz gibt es zu wenig Kinderärztinnen und -ärzte. Das sagte Marc Sidler, Präsident der Kinderärzte Schweiz (KIS), vergangene Woche gegenüber der Online-Plattform «watson». Der Aargau bildet dabei keine Ausnahme. Das macht sich auch klar bemerkbar. Diese Woche wurde bekannt, dass die Kinderarztpraxis am Bahnhof Aarau wegen Mangel an Fachpersonal spätestens Ende Juni schliessen wird.
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Gesamthaft betrachtet ist der Mangel an Kinderärztinnen und Ärzten im Aargau ein grosses Problem, wie Ulrike Brennan, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im Kinderarzthaus und Vizepräsidentin KiAg Kinderärzte gegenüber ArgoviaToday sagt. «Wir sind jeden Tag damit konfrontiert, dass nicht alle Patientinnen und Patienten, die einen Termin brauchen, versorgt werden können», so Brennan.
«Wir bekommen täglich Anrufe von Eltern, die noch keinen Kinderarzt haben und verzweifelt einen suchen. Überall sonst besteht ein Aufnahmestopp.» Vor allem Patienten, die aus anderen Kantonen in den Aargau ziehen, haben grosse Schwierigkeiten, einen passenden Kinderarzt zu finden, wie Brennan ausführt. Ihr zufolge bräuchte es pro 1000 Kinder einen Kinderarzt. Von dieser Zahl sei man weit entfernt. Besonders die ländlichen Regionen seien recht stark unterrepräsentiert.
Patienten abzuweisen ist eine Belastung
Junge Patientinnen und Patienten abweisen zu müssen, ist laut der Fachärztin derzeit eine der grössten Belastungen im Alltag. «Man versucht immer wieder Patienten dazwischen zu schieben und noch dran zu nehmen. Wenn sich nichts ändert, kommt man so irgendwann an den Punkt, an dem man dann keine gute Medizin mehr machen kann. Und das müssen wir verhindern», berichtet sie weiter. Neben dem Ärztepersonal sind es auch die medizinischen Praxisassistentinnen und -assistenten, welche eine schwere Last tragen. Sie müssen die Terminanfragen entgegen nehmen und können oft nicht den gewünschten, zeitnahen Termin anbieten. Je nach Krankheitsbild wird entschieden, wann welcher Patient einen Termin bekommt. Eine schwierige Aufgabe, denn dadurch bekommen diese direkt den oft verständlichen Frust der Eltern zu spüren.
Beratung für die Eltern
Im Aargau versuchen die Kinderarztpraxen wie auch in anderen Regionen die Eltern durch Beratung dahingehend zu stärken, dass sie in gewissen Situationen bereits zu Hause bestimmte medizinische Massnahmen selber machen können, wie sie sagt. Laut der Kinderärztin würde es am meisten helfen, die medizinische Beratung auch finanziell zu fördern, die bereits durch die gut ausgebildeten Praxisassistentinnen und -assistenten in den Kinderarztpraxen angeboten werden. Manche Arztbesuche können damit noch etwas hinausgezögert werden.
Bürokratie und mangelnde Finanzierung
Zusätzlich schliessen ältere Ärztinnen und Ärzte oftmals ihre Praxis, ohne eine Nachfolge zu finden. Die Gründe dafür sind vielseitig. Mitunter sei es nicht mehr so attraktiv, in der medizinischen Grundversorgung zu arbeiten – sowohl für Kinder als auch Hausärzte. «Es ist ein Beruf, der viel Leidenschaft braucht. Früher hat ein Dorf- und Kinderarzt von früh am Morgen bis spät am Abend die ganze Region versorgt. Das hat sich komplett geändert», sagt Brennan.
Im Gegensatz dazu steigen die bürokratischen Anforderungen an die Kinder- und Hausarztpraxen. Konkret heisst das, dass immer mehr Auflagen erfüllt werden müssen. Gerade in den letzten Jahren seien neue Regelungen gekommen, welche den Aufwand des Ärztepersonals jedoch extrem erhöht haben, erklärt Brennan. Dass die Finanzierung durch den Tarmed-Tarif nicht gegeben sei, mache die Situation nicht besser. Um die Attraktivität des Berufes zu steigern, müsse daher mehr in die medizinische Grundversorgung investiert werden.
Trotz der schwierigen Umstände im Alltag bezeichnet Brennan ihren Beruf als den schönsten der Welt. «Man kann so viel bewegen. Die Kinder und deren Eltern sind sehr dankbare Patienten und man kann mit wenig schon sehr viel erreichen – gerade in der Grundversorgung mit Prävention. Ein Kinderlächeln macht alles im Alltag wieder wett», so Brennan.
Perspektiven für die Zukunft schaffen
Für die Zukunft wünscht sich die Vizepräsidentin mehr öffentliches Bewusstsein für die Wichtigkeit der Kinder- und Hausarztmedizin. «Es wird oft nur der Kostendruck diskutiert und auch, dass gespart werden muss. Die Frage ist aber immer, ob man auch am richtigen Punkt spart und ob man nicht in die Grundversorgung investieren will, um dadurch an anderen Ecken zu sparen und so eine sinnvolle Kostenstruktur zu schaffen», sagt Brennan weiter.