Aargau/Solothurn

Lösen ukrainische Flüchtende den Personalmangel?

Gastronomie

Lösen ukrainische Flüchtende den Personalmangel?

· Online seit 25.03.2022, 07:51 Uhr
In Aargauer Restaurants und Hotels herrscht Personalmangel. Man ist verzweifelt auf der Suche nach Angestellten und könnte nun bei Flüchtenden aus der Ukraine fündig werden. Es ist aber nicht klar, wer allfällige Ausbildungskosten bezahlt und was Flüchtende verdienen würden.
Anzeige

«Alle unsere Befürchtungen sind eingetroffen. Es fehlen Mitarbeitende an allen Ecken und Enden», sagt Bruno Lustenberger, Präsident des Branchenverbands Gastro Aargau. Das Problem: Während der Corona-Pandemie verloren viele Angestellte den Job oder haben der Branche freiwillig den Rücken gekehrt. Nun neigt sich die Pandemie dem Ende zu, Restaurants dürfen wieder normal öffnen – doch fehlt vielen jetzt das nötige Personal. «Das geht so weit, dass Betriebe ihre Öffnungszeiten einschränken oder das Angebot reduzieren müssen», so Lustenberger. Solche Probleme gäbe es in der ganzen Schweiz, nicht nur im Aargau.

Sind Flüchtende aus der Ukraine die Lösung? 

Der kantonale Gastro-Verband rechnet nicht damit, dass sich die Personalsituation bald entspannt. Viele Mitarbeitende hätten während der Pandemie die Branche verlassen und wollen nicht wieder in den Beruf einsteigen. Ausserdem seien viele Lehrstellen nicht besetzt, sagt Präsident Lustenberger. «Wir konnten keine Werbung machen, konnten uns nicht positionieren und so jungen Menschen offene Stellen schmackhaft machen.»

Eine Möglichkeit, die angespannte Situation mittelfristig zu lösen, wäre laut Lustenberger, wenn Flüchtende aus der Ukraine offene Stellen übernehmen könnten. Auf nationaler Ebene werde derzeit an einem konkreten Programm gearbeitet. «Bereits jetzt bieten wir Sprachkurse an oder auch vier bis fünf Wöchige Ausbildungen im Service oder im rückwertigen Bereich. Diese Angebote könnte man intensivieren und speziell auf Flüchtende aus der Ukraine abstimmen.» Es gäbe noch keine entsprechende Umsetzung, doch die Planung laufe, so Lustenberger.

Wer bezahlt die Ausbildungskosten?

Auch Claudia Rüttimann ist auf der Suche nach Personal. Sie sitzt im Verwaltungsrat der Hotelkette Aargau-Hotels und ist bei Gastro Aargau verantwortlich für die Ausbildung. «Wir könnten uns seht gut vorstellen, Arbeitsplätze für ukrainische Flüchtende anzubieten. Wenn jemand bereits Deutschkenntnisse hat und eine fachliche Ausbildung, auch gleich im Gastbereich.» Doch das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die wenigsten zutreffen. «Hat jemand wenig Deutschkenntnisse oder keine Fachausbildung, gibt es beispielsweise Jobs als  Küchenhilfen, im Haushaltsbereich oder als Unterstützung bei einem grossen Bankett», so Rüttimann.

Idealerweise würden Flüchtende dann sowohl intern, aber auch extern ausgebildet, sagt Rüttimann. Drei Tage arbeiten im Restaurant oder im Hotel, zwei Tage Ausbildung. Ein solches System gibt es im Kanton Aargau bereits, mit finanzieller Unterstützung des Kantons. Ob und wie sich der Kanton oder allenfalls der Bund an den Ausbildungskosten von ukrainischen Flüchtlingen beteiligt, ist derzeit nicht klar. Man braucht noch etwas Zeit, sich zu organisieren. Dass die Kosten ein Knackpunkt werden, scheint aber bereits absehbar. Denn die Frage ist nicht nur, wer für allfällige Ausbildungskosten aufkommt, sondern auch der Lohn für ukrainische Flüchtende.

Knackpunkt Mindestlohn

«Der Gesamtarbeitsvertrag setzt uns klare Grenzen, was den Mindestlohn anbelangt», erklärt Rüttimann. «Diesen bezahlen wir gerne, wenn jemand die entsprechende Ausbildung hat. Wenn jemand aber kein Wort Deutsch spricht und noch nie in einer Küche gearbeitet hat, wäre dies im Verhältnis nicht gerechtfertigt.» Denkbar wäre laut Rüttimann, dass man zunächst Praktikantenverträge abschliesst, die man nach ein paar Monaten dann anpasst. Dies müsste man aber zuerst mit dem Bund klären.

Offen bleibt auch, ob Flüchtende überhaupt bereit sind, für ein paar Hundert Franken im Monat in einer Küche als Hilfskraft zu arbeiten. Dabei geht es nicht darum, dass sich Flüchtende per se zu schade sein könnten, solche Jobs anzunehmen. Doch diese Personen wurden in ihrer Heimat abrupt aus dem Berufsleben als Ingenieurin, Verkäufer oder Automechanikerin gerissen. Hinzu kommt, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer aus einem Kriegsgebiet kommen und möglicherweise unter Traumata leiden.

Aus dem Kriegsgebiet in die Küche

Zu den bürokratischen Fragen kommt also auch noch eine psychologische Komponente hinzu.  «Ich kann natürlich auf keinen Fall nachfühlen, was einige der Flüchtenden durchmachen mussten. Doch ich denke, dass eine Struktur, eine Beschäftigung, durchaus helfen. Nicht nur bei der Integration in die Gesellschaft, sondern auch bei der Verarbeitung von Traumata», sagt Rüttimann. Auch hier müsse man abklären, ob der Bund allenfalls Betriebe mit Angeboten im psychologischen Bereich unterstützt.

Vieles bleibt derzeit also noch unklar. Nach einem Monat Krieg in der Ukraine sind bereits 12'000 Menschen in die Schweiz geflüchtet. Einige von ihnen könnten bald im Gastrobereich Arbeit finden und so auch der Personalnot in der Branche Abhilfe leisten. Und obwohl bereits viele Ausbildungs- und Jobprogramme bestehen, müssen zuerst nicht nur bürokratische Hürden überwunden, sondern auch die Kostenübernahme geklärt werden.

veröffentlicht: 25. März 2022 07:51
aktualisiert: 25. März 2022 07:51
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige

Mehr für dich

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch