Tötungsdelikt in Derendingen

Notwehr oder Vorsatz: Obergericht muss nun Urteil fällen

· Online seit 12.07.2022, 21:24 Uhr
Hat eine heute 60-jährige Frau in gerechtfertigter Notwehr gehandelt, als sie im Dezember 2018 ihren Partner erstach oder hat sie schlicht und ergreifend überreagiert? Über diese Frage muss nun das Obergericht des Kantons Solothurn entscheiden.

Quelle: TeleM1

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Am Morgen des 8. Dezember 2018 stach die Schweizerin ihrem um ein Jahr älteren Partner ein Küchenmesser in den Bauch. Sie traf die Schlagader, der Mann verblutete.

Das Amtsgericht Bucheggberg-Wasseramt in Solothurn verurteilte sie im März 2021 wegen eventualvorsätzlicher Tötung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 34 Monaten. Davon seien zehn abzusitzen. Es anerkannte zwar eine Notwehrsituation, die Frau habe aber überreagiert.

Negativspirale

Entscheidend für die Beurteilung der Tat sind die Vorgeschichte und die Situation des Paars an jenem Morgen. Wie die Frau am Dienstag vor dem Obergericht schilderte, hatte das Paar jahrelang eine harmonische Beziehung. 2017 aber entdeckte sie, dass er heimlich eine Beziehung mit einer Arbeitskollegin hatte.

Damit geriet eine Negativspirale in Gang. Die Frau verlor das Vertrauen, kontrollierte den Mann, spionierte ihm hinterher und machte auch vor seinem Handy nicht Halt. Er konterte mit Lügen, Schweigen, Rückzug oder gewalttätigen Ausbrüchen, wenn er getrunken hatte. Im Juli 2017 eskalierte die Situation, als er bemerkte, dass sie an seinem Handy war. Er richtete sie so zu, dass sie wochenlang arbeitsunfähig war.

Drohung mit Pistole

Am Abend des 7. Dezember 2018 fand sie heraus, dass er sie wieder angelogen hatte. Sie stellte ihn zur Rede, er verweigerte sich, schloss sich im gemeinsamen Haus in seinem Büro ein.

Am folgenden Morgen wollte sie nochmals darüber reden. Er wurde laut, drohte, er schlage alles zusammen, und überhaupt, er werde sich erschiessen, dann habe er endliche Ruhe.

Da er damit schon früher gedroht hatte, hatte die Frau die Pistole in eine Küchenschublade gelegt. Und nun machte sie den Fehler, ihm das zu sagen. Er tobte derart, dass sie die Waffe schliesslich holte – gleichzeitig nahm sie ein Küchenmesser mit. Dass die Pistole nicht geladen war, erfuhr sie erst im Laufe des Verfahrens

Kaum hatte er die Waffe in der Hand, drückte er den Lauf der Frau gegen die Brust mit den Worten, das Beste wäre, sie zu erschiessen. Sie stach mit dem Messer zu. Dann rannte sie die Treppe hinauf und verbarrikadierte sich.

In ihrer Erinnerung stiess sie ihn bloss weg – dass sie das Messer in der Hand hielt, sei ihr nicht bewusst gewesen. «Ich machte keine bewusste Stichbewegung». Sie sei in Todesangst gewesen, sagte sie. «Er war nicht mehr er selbst».

Als sie dachte, er sei aus dem Haus gegangen, ging sie hinunter und fand ihn tot am Boden liegend. Sie dachte, er habe sich erschossen, und rief die Ambulanz.

Eventualvorsatz

Der Staatsanwalt verlangte eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils. Weil er dieses nicht angefochten hatte, darf das Urteil des Obergerichts für die Beschuldigte nicht ungünstiger ausfallen. Laut Ankläger liegt Eventualvorsatz vor. Die Frau habe in einer Überreaktion nicht nur einmal, sondern zweimal zugestochen, was eine Verletzung am Unterarm des Mannes beweise.

«Leben gegen Leben»

Die Verteidigerin plädierte auf gerechtfertigte Notwehr. Sie verlangte einen Freispruch der Beschuldigten. Sie habe ihren Partner nicht töten wollen. Von einem Notwehr-Exzess könne man nicht sprechen. «Es stand Leben gegen Leben Þ Messer gegen Pistole».

Die Verletzung am Unterarm beweise nicht einen zweiten Stich. Der Mann habe wohl eine schützende Bewegung mit dem Arm gemacht und sei dabei getroffen worden. Die Frau habe angesichts seiner Wut, seiner Aggression und der Pistole auch keine Handlungsalternativen gehabt.

veröffentlicht: 12. Juli 2022 21:24
aktualisiert: 12. Juli 2022 21:24
Quelle: SDA/ArgoviaToday

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