Aargau/Solothurn

Psychologe Thomas Knecht erklärt, warum True Crime uns so fasziniert

Psychologie

Faszination True Crime: Deshalb konsumieren wir so gerne Berichte über echte Kriminalfälle

· Online seit 06.10.2024, 07:42 Uhr
Immer öfters und vor allem von Frauen wird True Crime konsumiert. Doch weshalb faszinieren echte Kriminalfälle so? Wir haben beim forensischen Psychologen Thomas Knecht nachgefragt.
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True Crime funktioniert, egal ob als Podcast, TV-Serie oder Buch. Der Bezug zur Realität verleiht dem Ganzen eine neue Art von Schaudern und zieht die Leute in den Bann. Im Gegensatz zu Krimis haben diese Verbrechen tatsächlich stattgefunden und wurden von realen Menschen geplant und begangen. Doch wieso interessiert uns das so sehr?

«Die konventionellen Krimis haben ausgedient», sagt der forensische Psychiater Thomas Knecht, «Sie verlaufen immer mehr nach demselben Strickmuster. Die Leute wissen das und es wird ihnen klar, dass auch diese Verbrechen nur Fiktion sind. Der Thrill geht dabei verloren.»

Schon gewusst?
Was ist True Crime?
True Crime bezeichnet ein Genre, das sich mit realen Verbrechen befasst. Es handelt sich um Berichte, Dokumentationen oder Erzählungen über tatsächliche Kriminalfälle, die oft detailliert auf die Tat, die beteiligten Personen und die anschliessenden Ermittlungen eingehen.

Faszination Kriminalität

«Wir Normalbürger sind dazu erzogen worden, Gesetze zu respektieren. Gesetze werden da installiert, wo eine Tendenz besteht, diese zu überschreiten», erklärt Thomas Knecht. Ein Mensch habe einen Aggressionstrieb. In einem harten Konflikt bestehe die Versuchung, diese Aggression auszusetzen, um den eigenen Standpunkt durchzusetzen. «Über 90 Prozent können diese Aggression zwar beherrschen, aber es ist aufregend und unterhaltend, wenn jemand diese Grenzen nicht beachtet und diese überschreitet – was man vielleicht auch gerne tun würde und aus Vernunftgründen unterlässt», erklärt Knecht. So könne man sich in der Fantasie ausleben, die man bisher unterdrückt hat.

Darum schauen wir True Crime 

Es hat etwas mit dem eigenen Ich zu tun, meint Thomas Knecht, weil man selbst auch aggressiv, triebhaft und begehrlich sei. Es interessiere einen, wie Leute sich verhalten, die sich diese Grenzen nicht setzen. Zu sehen, was aus diesen Menschen wird und welche Konsequenzen sie daraus ziehen müssen, bestätige, dass es sich lohnt, sich selbst zu kontrollieren.

Es bleibt die Frage: Warum zieht uns das an? Ist es die Ersatzbefriedigung, weil man diesen Trieb selbst unterdrücken muss? Oder eher, um dabei zu sein und zu sehen, welche verrückten Dinge geschehen, ohne dabei selber in Gefahr zu kommen? Das muss jeder für sich selber klarstellen, meint Thomas Knecht.

Wieso True Crime vor allem Frauen anzieht

Frauen sind besonders fasziniert von True-Crime-Geschichten. «Die Gefahr in Sicherheit geniessen», begründet Knecht diesen Fakt. Täter sind in 90 Prozent der Fälle Männer. Frauen sind – wenn sie an Verbrechen beteiligt sind – meistens in der Rolle des Opfers. So könnten sie sich in realitätsnahen Szenen immer wieder vergewissern, dass sie in Sicherheit sind. Die soziale Sicherheit erscheine einem danach noch wertvoller als zuvor, sagt der Psychologe.

Ist der Konsum bedenklich?

Doch verleiten detaillierte Beschreibungen von Verbrechen manche Menschen nicht dazu, selbst eine Tat zu begehen? Knecht kann nicht ausschliessen, dass Menschen, die bereits kriminelle Neigungen haben, sich von True Crime nicht inspirieren lassen. Es sei aber weniger bekannt, dass Delikte aufgrund von True Crime begangen worden sind.

Er geht davon aus, dass der Normalbürger sich daran vorwiegend schaudern möchte, sich danach bewusst davon distanziert und sich seiner eigenen Normalität vergewissert. Damit man sich selbst sagen könne: «Zum Glück bin ich nicht so. Es ist zwar spannend und aufregend, das zu schauen, aber ich grenze mich davon ab.» Als problematisch würde er den Konsum nicht betiteln. Eher im Gegenteil.

True Crime hat auch Vorteile

Laut Thomas Knecht kann True Crime auch als Sachfilm betrachtet werden, bei dem etwas gelernt werden kann. Zum Beispiel: Wie würde ich in so einer Situation reagieren oder wie stehe ich dazu und was macht es mit mir? Es stehe beim Konsum von True Crime nicht nur die Unterhaltung im Vordergrund, sondern auch das Lernen von Fakten über ein Thema, mit dem man als Normalbürger sonst kaum in Kontakt kommt.

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Der Konsum könne zudem soziale Normen festigen. Oder als kriminelle Prävention betrachtet werden, da man vor Gefahren gewarnt werde. Ein gutes Beispiel dafür sei der Enkeltrick-Betrug. So werde man sensibilisiert für Dinge, die einen selbst betreffen könnten. Das führt wiederum dazu, dass man vermutlich selbst weniger zum Opfer wird, so Knecht.

In True Crime steckt also zu gewissen Massen auch einen erzieherischen Faktor.

veröffentlicht: 6. Oktober 2024 07:42
aktualisiert: 6. Oktober 2024 07:42
Quelle: ArgoviaToday

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