Verwaltungsgericht Aargau

«Töffli-Bueb» sollte nicht eingebürgert werden – Gericht rüffelt Parlament

· Online seit 12.12.2022, 18:03 Uhr
Das Aargauer Verwaltungsgericht hat die Rückweisung des Einbürgerungsgesuch eines minderjährigen Italieners durch die zuständige Parlamentskommission als «willkürlich» bezeichnet. Das Gericht hob den Entscheid der Kommission auf. Diese muss den Fall nun erneut beraten.
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Die Ablehnung des Gesuchs aufgrund von zwei Übertretungen im Strassenverkehr beruhe «auf sachfremden Gründen und ist als willkürlich zu betrachten», schreibt das Verwaltungsgericht im am Montag publizierten Beschwerdeentscheid. Die Jugendanwaltschaft sprach die Verweise wegen eines frisierten Töfflis aus.

Die Einräumung eines Ermessensspielraums bedeute nicht, dass die zuständige Behörde bei der Ermessensausübung völlig frei sei. Sie sei vielmehr auch bei Einbürgerungsentscheiden an die Verfassung gebunden und habe insbesondere das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot zu beachten, hält das Verwaltungsgericht fest.

Zwei Verweise der Jugendanwaltschaft

Die Einbürgerungskommission (EBK) hatte das Gesuch des 15-jährigen Italieners abgelehnt – und der Grosse Rat nahm dies an seiner Sitzung vom 21. Juni zur Kenntnis. Der Kommission gehören acht Parlamentsmitglieder an. Die SVP stellt drei Vertreter, während die FDP, Mitte, GLP, SP und Grüne je mit einem Mitglied in der EBK vertreten sind.

Die EBK teilte die Ablehnung dem Gesuchsteller mit. Gegen diesen Entscheid reichte der Betroffene beziehungsweise dessen Rechtsanwalt eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein.

Der Gemeinderat hatte dem Jugendlichen im März 2021 das Gemeindebürgerrecht zugesichert. Auf Gesuch des Kantons Aargau erteilte das Staatssekretariat für Migration (SEM) im November die Bewilligung für die Einbürgerung.

Doch im vergangenen Februar bemerkte die Abteilung Register und Personenstand im kantonalen Innendepartement bei der erneuten Überprüfung des strafrechtlichen Leumunds zwei Einträge der Jugendanwaltschaft wegen Verletzungen von verkehrsrechtlichen Vorschriften.

Töffli frisiert

Es ging um das: Der Minderjährige fuhr am 19. April 2021 in Seon auf dem Gepäckträger seines Mofas mit, das von einem Kollegen gelenkt wurde. In einer Rechtskurve kollidierten die beiden Jugendlichen mit einem entgegenkommenden Personenwagen.

Abklärungen ergaben, dass sich das Mofa in nicht vorschriftsgemässen und abgeändertem Zustand befand – also frisiert war. Durch diese Abänderung erreichte das Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 56 Stundenkilometern.

Bei der zweiten Verurteilung durch die Jugendanwaltschaft vom 18. Januar wurde der Jugendliche wegen unerlaubten Abänderns eines Motorfahrrads sowie wegen mehrfachen Führens eines Motorfahrrads in nicht vorschriftsgemässen Zustand schuldig gesprochen und erneut mit einem Verweis bestraft. Er fuhr also wieder auf einem frisierten «Töffli».

Kein gravierendes Fehlverhalten

Das Verwaltungsgericht hält dazu fest, es handle sich entgegen der Auffassung des Grossen Rates nicht um ein gravierendes Fehlverhalten. Die beiden Übertretungen begründeten alleine noch keine Zweifel an seiner erfolgreichen Integration.

Das Gericht hiess die Beschwerde des jungen Italieners teilweise gut. Es hob den Entscheid der Einbürgerungskommission auf – und diese muss den Fall erneut beraten. Wenn in der Zwischenzeit keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände eingetreten seien, würden die Kommission oder der Grosse Rat nicht umhinkommen, dem Beschwerdeführer das Kantonsbürgerrecht zu erteilen.

Das Obergericht verpflichtete den Grossen Rat, dem Gesuchsteller die vor Verwaltungsgericht entstandenen Parteikosten von 2000 Franken zu ersetzen.

veröffentlicht: 12. Dezember 2022 18:03
aktualisiert: 12. Dezember 2022 18:03
Quelle: sda

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