Sieht man sie bei Dämmerung oder in der Nacht, wirkt es wie eine geisterhafte Erscheinung: die Schleiereule. Sie entzückt mit ihren weissen Gefiederpartien, dem herzförmigen Gesichtsschleier und der rein nächtlichen Lebensweise. Sie verlässt sich bei der Jagd nicht nur auf ihren Sehsinn, sondern kann in stockfinsterer Nacht ihre Beute beim leisesten Geräusch perfekt nach dem Gehör orten. Der Vogel brütet gerne in Dachstöcken oder Kirchtürmen. Doch genau diese Nähe zum Menschen wurde dem nachtaktiven Tier in den letzten Jahren zum Verhängnis.
Gefährdet aufgrund intensivierter landwirtschaftlichen Nutzung
Livio Rey der Vogelwarte Sempach erklärt, dass die Schleiereule in der Schweiz heute als «potenziell gefährdet» gilt: «Ihr Rückgang wird in erster Linie auf das ungenügende und schlecht erreichbare Nahrungsangebot aufgrund der intensivierten landwirtschaftlichen Nutzung und auf ein Fehlen geeigneter Brutplätze zurückgeführt.» Deshalb wurde der Vogel als Prioritätsart für Artenförderung eingestuft.
Ökologisches Engagement in Siglistorf
«Die Schleiereule bewohnt das Kulturland und bevorzugt eine kleinstrukturierte Landschaft mit Hecken, Obstbäumen und Krautsäumen. In der Nähe des Brutplatzes mag sie Biodiversitätsförderflächen», so der Biologe weiter. Und so eine Fläche entstand vor rund sechs Jahren in Siglistorf – inmitten des Siedlungsraumes. Das Engagement von Theres und Philipp Germann-Tillmann spielt dem Vogel demnach vollumfänglich in die Karten.
Auf einer Bauparzelle und rund um das Bauernhaus der Germanns, errichteten sie Grün- und Trockenflächen. Es entstanden Ruderalflächen, dichte Hecken, Holzbeigen mit Totholz, Steinhaufen mit Wandkies, verschiedene blumenreiche Flächen für Bienen und Schmetterlinge, Weidenbäume, Insektenhotels, zwei Igelbauten, Vogelhäuser, Schwalbennester und Fledermausnistkästen.
In der Scheune des ehemaligen Bauernhauses fühlen sich die Eulen wohl
Im kalten Dezember 2019 entdeckte Theres Germann erstmals eine Schleiereule auf einem Balken unter dem Scheunendach. Wochenlang sei die Eule dort tagsüber in starrer Position gesessen. Ein paar Monate später montierten sie gemeinsam mit einem Ornithologen einen grossen Brutkasten, massgeschneidert für die 35 Zentimeter grossen Vögel. Doch die Eule verschwand in den darauffolgenden Wochen. Womöglich wurde sie durch die Montage des Nistkastens oder den lärmigen Tauben verscheucht, die unter dem Dach ebenfalls ein Nest bauten.
Brautpaar eingezogen
Im Januar 2022 inspizierte eine Schleiereule den errichteten Brutkasten und im Mai zog ein Brautpaar definitiv im «Bärihuus» in Siglistorf ein. Die grosse Sensation ereignete sich anfangs Juni 2022, als vier Jungeulen schlüpften. Gemäss dem Ornithologen Willi Müller stellte dies eine absolute Seltenheit dar, besonders da die Eulen auf einem inaktiven Bauernhof brüteten. «Besonders wichtig ist es, dass die Schleiereulen tagsüber ungestört sind», erklärt Germann im Gespräch mit ArgoviaToday.
Anfang April wird die Kamera wieder installiert
«Es sieht so aus, als ob das Ereignis weitergeht», erzählt Germann und ist erfreut. Die Eulen seien wieder gekommen, was keine Selbstverständlichkeit ist. Aufgrund ihrer Beobachtungen und dem Kot der Vögel wissen sie, dass der Brutkasten wieder bezogen wurde. Vermutlich seien auch bereits Eier gelegt worden, da jeweils nur eine Eule in der Scheune sitzt: «Drei Wochen lang ist nur das Weibchen auf den Eiern, danach wechselt sich das Paar ab», erklärt Germann weiter.
Da die Eulen sehr empfindlich sind, dürfen sie aktuell noch nicht gestört werden. Die Wildkamera stellen sie deshalb erst wieder anfangs April an. «Wir werden anhand der Bilder der Nacht erkennen, ob das Männchen Mäuse zum Brutkasten bringt. Dann können wir definitiv sagen, ob wieder Eier gelegt wurden und es neue Jungvögel geben wird.»
Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.