Quelle: FM1Today/TVO
Es sieht aus wie die untergehende Sonne: Ein orange-roter Kreis – der das Zentrum des Raumes bildet. Eigentlich sind es drei Sonnen, die von verschiedenen Bildschirmen strahlen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Irgendwie wunderschön. Bei genauerem Hinsehen sind feine Adern, gelbe Geschwulste und pochende Wände zu erkennen. Die Sonne erwacht zum Leben – und das Auge erfasst, was dem Kopf schon lange bewusst ist. Nämlich, dass es sich bei den leuchtenden Kreisen um Katja Langenbahns Bauchinhalt handelt.
Zwei Wochen nur Brei
Drei Stunden zuvor kommt Katja Langenbahn fröhlich durch die automatischen Glastüren des Eingangs beim Spital Grabs. Sie winkt, lächelt und sagt, dass sie überhaupt nicht nervös sei. An jenem Tag im Februar 2022 steht die Magenbypass-Operation auf dem Programm. Die Operation, die ihr Leben verändern und vor allem erleichtern soll. Katja Langenbahn hat sich aus gesundheitlichen Gründen für die Operation entschieden und musste zuvor diverse Untersuchungen und Tests durchlaufen, wir haben sie dabei in Teil 1 begleitet.
Die 55-Jährige trägt einen langen schwarzen Mantel und zieht einen silbernen Rollkoffer hinter sich her. «Drei Tage muss ich hier bleiben», sagt sie. Danach dürfe sie für zwei Wochen nur Brei essen. Ob sie denn wisse, was auf sie zukomme, frage ich sie. «Ja, so ungefähr.» Am meisten fürchtet sie sich davor, dass ein Schlauch mit einer Kamera durch die Nase in ihren Bauch gestossen wird: «Dabei bin ich noch wach, weil ich die Zunge herausstrecken muss.» Das sei bestimmt ein sehr ekliges Gefühl.
Ich folge Katja Langenbahn ins Wartezimmer, wo sie sich umziehen und Blut entnehmen lassen muss. Dann geht es auch für mich in die Umkleidekabine. In blauen Hosen, blauem T-Shirt, mit Haube und Crocs begebe ich mich zu den OP-Sälen, die durch grosse, weisse Schiebetüren vom Gang abgetrennt sind.
«Ich wollte nie solche Operationen machen»
In OP-Saal 3 werde ich das erste Mal einen Einblick in eine Operation bekommen und Katja einen kleineren Magen. Von Katja ist mittlerweile nur noch der Kopf zu sehen, der ebenfalls in einer blauen Haube steckt, der Rest ist abgedeckt. Sie lächelt noch immer. «So viele Männer hat es um mich herum», sagt sie scheinbar entspannt. «Ich bin immer noch ruhig», bestätigt sie meinen Gedanken. Doch der gesteigerte Redebedarf könnte auch auf eine gewisse Nervosität zurückzuführen sein.
Die sogenannte Endoskopie beginnt. Ein langer Schlauch wird durch die Nase eingeführt, was bei Katja ganz natürlich zu einem Hustenreiz führt. Je weiter der Schlauch gelangt, desto tiefer schläft Katja aber bereits. Denn gleichzeitig wird die Vollnarkose eingeleitet. «Sie merkt das gar nicht», versichert der Anästhesist. Bald ist es ausser dem gelegentlichen Piepsen der Maschinen ruhig im Operationssaal.
Nabil Kalak, stellvertretender Chefarzt der Viszeralchirurgie am Spital Grabs, betritt den Raum. Die Viszeralchirurgie befasst sich mit der Chirurgie des Bauches und der Drüsen. Seit rund einem Jahr führt er gemeinsam mit einem Arzt des Kantonsspitals St.Gallen solche Magenbypass-Operationen am Spital Grabs durch. «Eigentlich wollte ich nie solche Operationen machen», sagt er, während ihm Handschuhe und blauer Umhang angezogen werden.
Völlegefühl nach einem halben Teller Spaghetti
Jetzt denke er anders darüber. Adipositas sei eine Krankheit: «Und wenn ich sehe, wie gut es den Menschen nach einem Eingriff von rund zwei Stunden geht und wie sich ihr Leben verändert, dann ist das das Schöne an meinem Beruf.» Nabil Kalak und Patrick Folie, Oberarzt am St.Galler Kantonsspital, richten sich ein. Mit einem kurzen Schnitt wird der Bauch geöffnet und durch zwei Löcher dringen Kameras ins Bauchinnere ein. Auf den dunkeln Bildschirmen erscheinen die orange-roten Sonnen. Der Raum schimmert blau – die Augen der Ärzte sind auf die Bildschirme gerichtet. «Es ist manchmal schwierig, weil die Aufnahmen halt nur zweidimensional sind, wir aber auch in die Tiefe gehen müssen. Das muss gelernt sein und braucht eine ruhige Hand.»
Mit einer Art kleiner Zange wird gelbes Fettgewebe zur Seite geschoben und der Blick auf den Magen frei. «Diesen Magen machen wir nun so klein wie eine Kaffeetasse», sagt Kalak – also ungefähr ein Sechstel so gross wie er jetzt ist. Dadurch wird Katja bereits nach einem halben Teller Spaghetti ein Völlegefühl spüren. Eine Art länglicher «Bostitch» wird durch die Öffnung eingeführt, damit wird ein Teil des Magens abgetrennt. Dieser «Bostitch» zerschneidet gemäss Kalak den Magen und setzt gleichzeitig an beiden offenen Seiten kleine Klammern ein. Dieser Schritt verläuft gut.
Der Magenteil, der Nahrung aufnimmt, ist nun um ein Vielfaches kleiner. Der andere Teil des Magens bleibt weiterhin im Bauch – dort wird Magensäure produziert, die später bei der Verdauung hilft. Damit die Nahrung wieder aus dem kleinen Magen kommt, muss dieser nun mit dem Darm verbunden werden. Eindrücklich, wie Kalak und Folie den Darm aus dem Magen holen, dabei noch vernarbtes Fettgewebe lösen müssen und einen Weg vom Darm zum Magen «brennen». In Darm und Magen wird anschliessend ein Loch gemacht und die beiden Organe werden wiederum mit dem «Bostitch» zusammengeheftet.
«Danke»
Nun beginnt die wohl feinfühligste Arbeit: das Nähen. Kalak näht den Darm an den Magen. «Es darf dabei keine Öffnung geben. Sonst stirbt die Frau, wenn Nahrung entweichen kann.» Mit ruhiger Hand und extremer Konzentration setzt er Stich für Stich. Der Faden löse sich später von selbst auf. Die Titanklammern, die aus dem «Bostitch» kommen, seien nicht gefährlich. Auch die Därme (Dünn- und Dickdarm) müssen weiter unten erneut miteinander verbunden werden (siehe Infobox).
Nach rund eineinhalb Stunden ist die Operation vorbei. «Es ist alles gut verlaufen», sagt Kalak. Nervös sei er nicht gewesen, allerdings «konzentriert und fokussiert». Er bleibe immer ruhig, auch dann, wenn etwas Unerwartetes passiere.
Katja Langenbahn wird in das Aufwachzimmer gebracht und rund 20 Minuten nach der Operation öffnet sie bereits die Augen. «Ich bin müde», sagt sie. «Es ist alles gut gegangen», sagt Kalak. «Danke», flüstert Katja und schliesst wieder ihre Augen. Bereits am selben Tag sei es Katja möglich, aufzustehen und herumzulaufen. Kaum vorstellbar nach dieser Operation. «Der Körper verarbeitet solch eine Operation gut», sagt der Arzt. Es handle sich um gesunde Organe, was den Eingriff erleichtere. «Der Eingriff bedeutet aber nicht, dass die Menschen jetzt schlank werden. Dazu gehört noch viel mehr.» Auch mental müssen die Betroffenen abnehmen wollen. «Komischerweise passiert das aber meist automatisch. Die Betroffenen haben gar keine Lust mehr auf gewisse Nahrungsmittel und wollen etwas in ihrem Leben ändern.»
Was sich bei Katja Langenbahn nach der Operation geändert hat, erfährst du im dritten Teil, der morgen Freitag veröffentlicht wird.