Makelloses Gesicht

«‹Bold Glamour› kann gemobbte Jugendliche stark belasten»

03.03.2023, 13:43 Uhr
· Online seit 03.03.2023, 09:28 Uhr
Das Aussehen ist makellos und wirkt täuschend echt: Auf Tiktok verbreitet sich der Filter «Bold Glamour» wie ein Lauffeuer. Jugendliche, die gemobbt werden, können laut Sozialpädagoge Andrin Schnegg unter dem Filter besonders leiden.

Quelle: CH Media Video Unit / Melissa Schumacher

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Herr Schnegg, auf Tiktok geht der Filter «Bold Glamour» viral. Dieser macht etwa die Haut glatter, Nasen schmaler und Wimpern dichter. Was halten Sie von diesem Filter?

Interessant ist an diesem Filter, dass er, im Vergleich zu herkömmlichen, live funktioniert und sehr unscheinbar ist: Auch wenn man die Hand vor das Gesicht hält oder etwas trinkt, verrutscht er nicht. Wie sich dieser Filter auf Teenager auswirkt, wird sich zeigen. Spannend ist aber vor allem: Solche Filter benutzen sehr viele Menschen, unabhängig vom Geschlecht.

Bergen Filter, die täuschend echt aussehen, besonders die Gefahr, dass sich Teenager an einem Ideal ihres Aussehens orientieren?

Ich arbeite oft mit Jugendlichen in sozialpädagogischen Institutionen zusammen. Wenn wir solche Filter ausprobierten, fiel mir häufig auf, dass die Jugendlichen durchaus einen kritischen Blick darauf hatten. Sie empfanden ihr Aussehen mit dem Filter als nicht natürlich und hässlich. Trotzdem nutzen sie die Filter auf Social Media, da diese ihnen mit einem Klick ermöglichen, «gut» auszusehen. Das gehört ein Stück weit zur normalen Unsicherheit in der Teenagerzeit und wird von den App-Herstellern natürlich auch bewusst so eingesetzt.

Eine Userin, die den Filter ausprobierte (siehe Video oben), meinte etwa über ihr filterloses Gesicht: «Niemals habe ich mich hässlicher gefühlt». Droht der Filter, das Selbstwertgefühl von Jugendlichen zu schwächen?

Jugendliche in der Pubertät befinden sich in einer unsicheren Situation. Dann kann ein solcher Filter Druck auslösen. Befindet sich eine Person in einer besonders belastenden Situation, zum Beispiel wegen Mobbings, kann der Filter noch stärker belasten. Dabei handelt es sich aber um eine weitere Stufe eines bereits bestehenden Problems. Die Filter können die Thematik dann verstärken. Ein schwerwiegendes Problem hängt also nicht alleine vom Filter ab, sondern besteht aus einer Kombination von anderen Krisen. Natürlich muss man trotzdem auch Jugendliche ernst nehmen, die vor allem wegen des Filters an ihrem Aussehen zu zweifeln beginnen.

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Was raten Sie da?

Es wäre falsch, dem Kind solche Filter grundsätzlich zu verbieten. Überreagieren ist nie die Lösung. Die Eltern, aber auch die Schulen sollen über die Wirkung von Filtern reden. Die Diskussion soll sie darin bestärken, dass jeder Mensch attraktive und weniger attraktive Seiten hat. Ein Beispiel dafür sind Influencerinnen und Influencer. Diese sehen auch nicht toll aus, wenn sie frisch aus dem Bett gekommen sind.

Etwa in Frankreich und in Norwegen müssen retuschierte Fotos gekennzeichnet werden. Braucht es ein solches Gesetz auch in der Schweiz?

Ich würde ein solches zumindest für Personen befürworten, die in der Öffentlichkeit stehen. Nicht schlecht wäre auch, wenn der Rest der Menschen, die online Filter benutzen, dies kennzeichnen müssten. Ich bin bei technischen Lösungen allerdings vorsichtig. Oft führt das dazu, dass die Themen dahinter nicht mehr behandelt werden. Am besten lässt sich das Problem an der Wurzel packen, wenn die Gesellschaft mit den Jugendlichen darüber redet. In Kombination mit einem Reflexionsprozess können sich Jugendliche durch solche Filter auch neu entdecken und ihren Selbstwert stärken.

veröffentlicht: 3. März 2023 09:28
aktualisiert: 3. März 2023 13:43
Quelle: Today-Zentralredaktion

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