Coronavirus

Bringt das Covid-Chaos in China Pandemie Nummer zwei?

14.12.2022, 12:59 Uhr
· Online seit 13.12.2022, 15:43 Uhr
In China begann die Covid-19-Pandemie und diese ist derzeit mit voller Wucht zurückgekehrt. Epidemiologe Jürg Utzinger schätzt die aktuelle Lage für das Land und den Rest der Welt ein.
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Die aktuelle Situation in China ähnelt einem Déjà-vu: Wie vor drei Jahren um diese Zeit hat das Coronavirus das Land fest im Griff. Gerade überrollt eine Corona-Welle China und bringt Spitäler an den Anschlag.

Grund dafür ist, dass die chinesische Republik bei einer tiefen Durchimpfungsrate ihre rigorose Null-Covid-Strategie nach langer Zeit weitgehend aufgehoben hat. Jürg Utzinger, Epidemiologe und Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts Swiss TPH, schätzt ein, was dies für China und den Rest der Welt bedeutet.

Herr Utzinger, China steckt wieder mitten in der Pandemie, während sich andere Länder langsam davon erholen. Stehen wir jetzt vor der Pandemie Nummer zwei?

China hat drei Jahre lang mit grossen Anstrengungen und rigorosen Massnahmen den Kontakt zwischen der Bevölkerung und dem Sars-CoV-2-Virus praktisch unterbunden. Nun lockert die Volksrepublik die strengen Regeln bei einer unvollständig geschützten Bevölkerung. Wegen der hoch ansteckenden Omikron-Variante wird dies unweigerlich zu grossen Infektionswellen führen, inklusive schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle. Mancherorts dürfte auch das Gesundheitssystem an den Anschlag kommen. Eine offene Frage ist, ob es zu einer neuen Variantenentwicklung des Sars-CoV-2 kommen könnte, die dann wiederum andere Länder trifft.

Welche Phase ist die heikelste dafür?

Besonders heikel ist ein hohes Infektionsgeschehen, das auf eine noch schlecht geschützte Bevölkerung trifft. Das ist vor allem der Fall zu Beginn der Übergangsphase von der epidemischen in die endemische Phase. Darin befindet sich China momentan. Dabei könnte es auch zu neuen Varianten kommen. Ich schätze das Risiko momentan aber eher als klein ein.

Warum?

Seit Monaten ist Omikron die absolut vorherrschende Variante weltweit. Das hängt mit der leichten Übertragbarkeit zusammen. Zum Glück ist Omikron nicht mehr so gefährlich wie die Ursprungsvarianten. Ausserdem ist unser Immunsystem schon recht gut auf eine Coronainfektion trainiert, da die Bevölkerung in der Schweiz über eine hohe Immunisierungsrate – entweder durch die Impfung oder durch eine natürliche Ansteckung – verfügt. Zudem gelten für China nach wie vor strenge Einreisebestimmungen.

Ist China also gefangen im eigenen Covid-Chaos?

China hat in den vergangenen Wochen erkannt, dass ein Festhalten an der Null-Covid-Strategie nicht länger haltbar ist. Strassenproteste haben das Lockern der Massnahmen beschleunigt. Eine grosse Herausforderung ist, dass die Bevölkerung nur unzureichend geschützt ist. Die eigenen Impfstoffe sind weniger wirksam als beispielsweise die in der Schweiz angewandten mRNA-Impfstoffe. Insbesondere bei älteren Leuten sind die Impfraten unterdurchschnittlich tief und Impfskepsis ist weit verbreitet.

War die Null-Covid-Strategie ein Fehler?

Es ist bemerkenswert, wie lange China an dieser Strategie festhielt. Während langer Zeit ist China damit sehr gut gefahren, denn bis zum jetzigen Zeitpunkt verzeichnet das Land vergleichsweise tiefe Todeszahlen und relativ wenige schwere Verläufe. Mit der hoch ansteckenden Omikronvariante und den Kollateralschäden für die mentale Gesundheit und Wirtschaftseinbrüchen machte die Bevölkerung nicht mehr länger mit. Es ist verfrüht, China eine falsche Strategie vorzuwerfen. Erst die kommenden Monate werden Klarheit schaffen, wie der Weg aus der Null-Covid-Strategie gemeistert werden kann.

Was hätte China tun können, um die aktuelle Mega-Welle zu verhindern?

China hat die langen Shutdowns ungenügend genutzt, um die Bevölkerung auf Lockerungen vorzubereiten. Das Land hätte Importe von hochwirksamen Impfstoffen prüfen sollen, um die Bevölkerung so gut wie möglich gegen das Virus zu schützen. Auch hätten die Behörden die gewonnene Zeit durch die Null-Covid-Strategie nutzen sollen, um die Impfrate besonders bei älteren und vulnerablen Menschen nachhaltig zu erhöhen.

veröffentlicht: 13. Dezember 2022 15:43
aktualisiert: 14. Dezember 2022 12:59
Quelle: Today-Zentralredaktion

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