Für Schweizer Hilfswerke gearbeitet

Bund lässt afghanische NGO-Arbeiterin bei Visumsantrag abblitzen

· Online seit 10.10.2022, 10:35 Uhr
Sie arbeitete für Schweizer Hilfswerke und rettete afghanische Frauen und Kinder. Doch als die 46-jährige Afghanin wegen der Taliban-Machtergreifung in Not geriet, liess der Bund sie im Stich. Die Bürokratie-Auflagen und Begründung des SEMs sind fragwürdig.
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Im August 2021 ergriffen die Taliban in Afghanistan die Macht. Wer nicht fliehen konnte, lebt mit der ständigen Furcht vor Verfolgung und Folter. Wie Recherchen des «Tages-Anzeigers» zeigen, haben die schweizerischen Behörden eine Angestellte von Hilfswerken im Stich gelassen. Der Grund dafür: die Bürokratie.

Grosses Engagement unter ständiger Bedrohung

Die 46-jährige Malalai H. hat bis zum April 2022 bei der «Womanity Foundation» gearbeitet. Die private Stiftung in Genf setzt sich für Gleichberechtigung und den Schutz sowie die Rehabilitation der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lage von Menschen ein. Insbesondere verfolgt die Stiftung das Ziel, die Lebensbedingungen von Kindern und Frauen zu stärken.

Die vierfache Mutter war als Managerin für ein Bildungsangebot für junge Frauen angestellt. Sie organisierte Programmier- und Englischunterricht an öffentlichen Schulen und stand in regelmässigem Austausch mit Eltern der Schulkinder. Zudem versteckte Malalai H. Frauen und Kinder, die von Afghanen misshandelt wurden, in einem afghanischen Zufluchtshaus der Stiftung «Hagar International», welches sie leitete. Wegen ihrer Arbeit und weil sie hoch gebildet ist, wird die 46-Jährige von den Taliban als «Verbrecherin» gesehen und bedroht.

Antrag auf Botschaft notwendig

Im August 2021 weiss Malalai H: Sie muss weg aus Afghanistan. Sie bittet ihre Schweizer Arbeitgeber um Hilfe. Pierre Tami, Gründer von Hagar International, schildert den Bundesrätinnen und Bundesräte die Geschichte von Malalai H. Die Antwort des Aussenministeriums von Cassis lautet aber: Die Handlungsmöglichkeiten seien sehr begrenzt, die Hilferufe leider zahlreich. Ihr Fall wird dem Staatssekretariat für Migration (SEM) weitergeleitet.

Dort wird auf die bürokratischen Regeln hingewiesen. Es brauche einen Antrag für ein humanitäres Visum seitens Malalai H. Der Antrag müsse persönlich auf einer Schweizer Botschaft erfolgen. Daraufhin will die Afghanin einen Termin bei einer Schweizer Botschaft bekommen, doch auf diesen muss sie mehr als zwei Monate warten.

«Nicht in unmittelbarer Gefahr»

Später zeigt sich, dass das SEM weitere Belege verlangt, als in der Visa-Verordnung der Schweiz aufgeführt, um ein humanitäres Visum zu erteilen. Etwa solche für einen engen und aktuellen Bezug zur Schweiz. Die Arbeit für ein Schweizer Hilfswerk gilt aber nur dann als enge Beziehung, wenn diese Organisation auch Geld vom Bund erhält. Das ist bei Malalai H. nicht der Fall. Die «Womanity Foundation» wurde zwar von der Stadt und vom Kanton Genf mitfinanziert, jedoch nicht vom Bund.

Die 46-Jährige erhält eine Absage. Die Begründung: Sie sei weder in «unmittelbarer und ernsthafter Gefahr, körperlich verletzt zu werden», noch in einer Notsituation, in der die Schweizer Behörden eingreifen müssten. Sie legt Einsprache ein, diese wird abgelehnt. Mittlerweile hat ein Asylanwalt ihr abgelehntes Gesuch vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten. Das Urteil steht derweil noch aus.

(hap)

veröffentlicht: 10. Oktober 2022 10:35
aktualisiert: 10. Oktober 2022 10:35
Quelle: Today-Zentralredaktion

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