Illegaler Welpenhandel

Das dreckige Geschäft mit der Corona-Einsamkeit

24.07.2021, 11:12 Uhr
· Online seit 24.07.2021, 08:25 Uhr
Seit Beginn der Pandemie wollen plötzlich alle einen Hund. Weil der Markt hierzulande schnell ausgetrocknet war, wurden im letzten Jahr vermehrt Welpen im Internet bestellt. Diese waren oft in einem miserablen Zustand. Was ist aus ihnen geworden? Sind Aargauer Tierheime jetzt überlaufen von kranken und verhaltensgestörten Welpen?
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Abstandhalten, Zuhause bleiben, Körperkontakt vermeiden: Die Corona-Zeit hat viele Schweizerinnen und Schweizer zunehmend in die Einsamkeit getrieben. Ein Hund sollte Abhilfe schaffen und die fehlende Zuneigung kompensieren. Weil die hiesigen Tierheime und Zuchtbetriebe die enorme Nachfrage im Frühling letzten Jahres nicht mehr decken konnten, suchten viele Interessenten im Internet nach einem vierbeinigen Gefährten – und bestellten online den gewünschten Rasse-Welpen. Im Jahr 2020 wurden 29'000 Hunde in die Schweiz importiert, wie Recherchen von SRF Impact zeigen. Das sind so viele wie noch in keinem Jahr zuvor.

Das Problem: Ein Grossteil der importierten Welpen stammt aus dubiosen, oft illegalen Hundefabriken im Ausland. Die Muttertiere in den sogenannten «Puppy-Mills» sind regelrechte Gebärmaschinen, deren Welpen werden gehandelt wie Ware. «Das Leid dieser Welpen ist immens», sagt die Tierschützerin Susy Utzinger. «Sie sind oft weder sozialisiert noch geimpft und werden der Mutter meist viel zu früh weggenommen.» Zudem kämen viele Tiere mit gefälschten Papieren über die Grenze.

Tierspital Zürich schlägt Alarm

Viele dieser Welpen sterben, bevor sie überhaupt bei ihren neuen Besitzern in der Schweiz eintreffen. Und denen, die es schaffen, steht oft eine lange und teure tierärztliche Behandlung bevor. Das bekommt auch das Tierspital Zürich zu spüren. Im Mai dieses Jahres veröffentlichte es eine Broschüre, in der eindringlich vor dem illegalen Welpenhandel im Internet gewarnt wird. Darin heisst es unter anderem:

Auch im Aargau ist der Welpenmarkt seit Beginn der Pandemie ausgetrocknet, die Tierheime sind leergefegt, wie Astrid Becker, Leiterin des Tierschutzvereins Aargau gegenüber ArgoviaToday bestätigt. Das bleibe aber nicht so, sagte Becker im April gegenüber der Aargauer Zeitung: «Wir rechnen leider damit, dass wir diese freien Plätze nach der Pandemie alle besetzen werden», heisst es im Artikel.

Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, aber: Die Home-Office-Pflicht wurde aufgehoben und auch Sommerferien im Ausland sind in diesem Jahr wieder möglich. Es stellt sich also die Frage:

Werden die Aargauer Tierheime jetzt überrannt von kranken und verhaltensgestörten Welpen, die Monate zuvor aus dubiosen Zuchten in die Schweiz importiert wurden?

Erstaunlicherweise, nein - oder noch nicht. Das bestätigen alle Tierheime im Kanton Aargau auf Anfrage. «Der grosse Run kommt bestimmt noch, wenn die Hunde zuhause Randale machen, weil sie sich nicht gewohnt sind, alleine zu sein», erklärt sich der Tierschutzverein Arolfingen den bisherigen Ausbleib des grossen Ansturms. Auch im Tierheim Scherer in Mülligen ist es bislang ruhig geblieben. Die Leiterin Bernadette Scherer zeigt sich aber gelassen: «Ich denke nicht, dass es dieses Jahr gross anders sein wird als in anderen Jahren.»

Das Elend geht weiter

Im Gespräch mit den Tierheimen erhärtet sich noch eine andere Vermutung über den Verbleib der Corona-Welpen: «Wir gehen davon aus, dass viele der Welpen, die zuvor im Internet gekauft wurden, jetzt auch wieder über online-Verkaufsplattformen oder soziale Netzwerke weitergegeben werden», sagt Romy König vom Tierheim Böhler in Schöftland. Auch Astrid Becker und Susy Utzinger halten es für wahrscheinlich, dass viele der importierten Welpen unter der Hand weitergereicht werden. «Wer ein Tier im Tierheim abgibt, bekommt kein Geld dafür, muss teilweise sogar dafür bezahlen. Ist doch klar, dass viele Leute, die teuer ein Welpen importiert und womöglich auch noch Geld in Tierarztbehandlungen gesteckt haben, versuchen, zumindest einen Teil der Kosten durch den Weiterverkauf wieder reinzuholen», ergänzt König. Das sei fatal, denn mit jeder Weiterreichung würde es schwieriger werden, zurückzuverfolgen, wo das Tier herkommt. Und das, obwohl die Tiere bei der Einfuhr eigentlich gechippt sein müssen. Allerdings seien viele Welpen aus illegaler Zucht gar nicht oder nicht ordnungsgemäss gechippt.

Insbesondere auf Facebook werden derzeit vermehrt Welpen zum Verkauf angeboten. Die Verkaufsgründe klingen oft ähnlich: «wegen Allergie abzugeben», «verträgt sich nicht mit anderen Haustieren», oder «wegen Krankheit der Besitzerin abzugeben.» Dass die Tiere verhaltensgestört oder krank sind, ist in den wenigsten Verkaufstexten zu lesen.

Übrigens: In den Statuten von Facebook ist der Verkauf von lebendigen Tieren ausdrücklich verboten. Unsere schriftliche Anfrage, wie der Konzern gegen mögliche, illegale Welpen-Geschäfte auf seiner Plattform vorgeht, blieb bislang unbeantwortet.

Im Wirrwarr der Gesetze

«Obschon die Übereinkommen des Europarats, an denen auch Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz teilhaben, als völkerrechtliche Verträge in ganz Europa auf den Tierschutz wirken, bestehen momentan nur wenige konkrete gesetzliche EU-Regelungen für den Tierschutz von Haustieren in Bezug auf kommerzielle Zwecke», heisst es in einem Report des Tierschutzvereins. Den 28 Mitgliedstaaten wird selber überlassen, ob und wie sie die national geltenden Tierschutzbestimmungen implementieren. So gibt es teilweise sehr strenge, aber auch eher lasche Regelungen, in manchen Ländern fehlen sie gänzlich.

Frankreich erlebte im letzten Jahr einen ähnlichen Boom illegal importierter Welpen. Um dem entgegenzuwirken, verschärfte die Regierung Anfang dieses Jahres das geltende Tierschutzgesetz. So wird unter anderem der Privatverkauf von Tieren auf online-Plattformen ab 2024 verboten. In Österreich gelten ähnliche Gesetze.

«Das sind gute Ansätze», findet Bianca Körner, Juristin bei der Stiftung Tier im Recht. Allerdings müsse die Ausgestaltung solcher Gesetze gut durchdacht werden: «Es ist aufgrund des Auslandbezuges und der Möglichkeit, falscher Identitätsangaben, schwierig, ausländische Händler auf Schweizer Plattformen zurückzuverfolgen. Deshalb müssten auch Kontroll- und Vollzugsinstrumente geschaffen werden.» Körner würde deshalb zusätzlich einen weiteren Ansatz begrüssen: «Die Kontrollen an den Grenzen müssten strenger und die gesetzlichen Hürden höher sein, sodass Importeure (sowohl privat als auch gewerblich), die ihre Tiere nicht vorschriftsgemäss zu importieren versuchen, gar nicht erst in die Schweiz gelangen.» Konkret liesse sich das beispielsweise dadurch regeln, dass kein Tier ohne Bewilligung eingeführt werden darf.

Der einfachste und gleichzeitig effizienteste Weg, um illegalen Welpenhändlern das Handwerk zu legen, liege aber immer noch in der Aufklärungsarbeit: «Durch die umfassende Sensibilisierung der Bevölkerung können solche Käufe drastisch vermindert werden.» Das sei wichtig, denn: «Jeder einzelne Kauf kurbelt das für die Händler lukrative Geschäft weiter an.»

veröffentlicht: 24. Juli 2021 08:25
aktualisiert: 24. Juli 2021 11:12
Quelle: ArgoviaToday

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