Gerollte blaue Teppiche, auf- und nebeneinander gestapelte Bücher sowie Ziegel dienen als Trennwände, verschieden laminiertes Parkett kleidet den Fussboden, bei der Holzmodulfertigung anfallende Abschnitte zieren die Wände: Anstatt neue Komponenten zu verwenden, stützen sich die Forschende und Architekten darauf, bereits gebrauchte Elemente zu nutzen.
Mit der Fertigstellung der neuen Büroeinheit «Sprint» am Forschungsgebäude «Nest» der Empa und Eawag zeigten sie, dass dieses Konzept der Wiederverwendung von Materialien und die Marktanforderung des schnellen und flexiblen Bauens vereinbar sind. Der Ansatz könne mit herkömmlichen Bauweisen mithalten - hinsichtlich Termineinhaltung und Kosten, wie Enrico Marchesi, Innovation Manager und Projektverantwortlicher seitens Nest vor den Medien anlässlich der Inbetriebnahme der Büroräumlichkeiten am Dienstag erläuterte.
Die «Sprint»-Einheit, die sich auf der untersten Plattform des modular aufgebauten «Nest» befindet, folgt dem sogenannten «Design for Disassembly»-Ansatz. Darunter verstehen Fachleute, dass von Beginn an der Rückbau eines Gebäudes mitberücksichtigt wird sowie eine Bauweise, die Änderungen und Demotagen zulassen. Und wie es Peter Richner, Stellvertretender Direktor der Empa, ausdrückte: «Zwei Handwerker mit Akkuschrauber können das Ding komplett zerlegen.»
Schlüssel ist die flexible Planung
«Die Bauindustrie ist global gesehen der grösste Verursacher von Abfall, und viele Rohstoffe gehen zu Neige», sagte Marchesi. Eine Möglichkeit, den Druck auf die Umwelt zu verringern, sind die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. So suchten die Projektmitarbeitenden überall und möglichst in der Nähe nach altem Material, Komponenten und Bauteilen, deren Weg zum Müllberg vorgezeichnet war. Und sie wurden fündig, etwa an der «Nest»-Fassade, im hauseigenen Lager der Empa oder bei einem Abrissobjekt in Dübendorf.
Die Herausforderung dieses Suche-Finde-Verwerte-Ansatzes liege ganz klar bei der Planung, sagte Kerstin Müller im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie ist Geschäftsleitungsmitglied beim Baubüro «insitu», Geschäftsführerin der Zirkular GmbH und war als Architektin massgeblich an «Sprint» beteiligt. Anders als bei anderen Bauprojekten müsse man sich viel früher mit der Materialauswahl beschäftigen und diese ins Design einfliessen lassen, so Müller. Denn: Gebaut werde mit dem, was vorhanden sei. «Das verlangt nach Kreativität.»
Sie sagte aber auch: «Während der Bauphase muss man sich ganz klar einen Tag X im Terminkalender markieren.» Wenn bis zu diesem Zeitpunkt die Suche nach einem passenden Fenster, Stahlträger oder einer Badewanne nicht erfolgreich verlief, müsse man sich auf fabrikneue Komponenten stützen. «Es ist immer ein Abwägen zwischen möglichst viel Wiederverwendung und dem Einhalten der von Bauherren festgelegten Termine.»
Re-Use nicht billiger
Zwar ist der Einsatz von wiederverwendeten Bauteilen nicht billiger. Aber: «Sobald sich ein wettbewerbsfähiger Markt mit wiederverwendeten Materialien und Bauteilen etabliert hat, werden auch beim Re-Use Kostenvorteile anfallen», sagte Oliver Seidel, Architekt und ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung beim Baubüro «insitu». Auch eine CO2-Bepreisung würde den ökologischen Mehrwert der gebrauchten Materialien beziffern. Ausserdem habe die Corona-Pandemie gezeigt, wie verheerend sich Engpässe bei globalen Lieferketten im Bausektor auswirken könnten, so Kerstin Müller. Lokal wiederverwendete Elemente würden dies abfedern.
Um die Prinzipien des innovativen Ansatzes im grossen Stil zu ermöglichen, braucht es eine Datenbank mit wiederverwendbaren Materialien. Das gebe es derzeit noch nicht, so die Architektin. Doch es bewege sich etwas: Einzelne Bauherrschaften hätten begonnen, Material von eigenen Abrissobjekten in neuen, ebenfalls eigenen Bauten ein zweites Leben einzuhauchen.