Abgemagerte oder kranke Katzen lösten in den Ferien im Süden schon bei manchen Schweizer Touristinnen und Touristen Mitleid aus. Eine italienische Familie dürfte in der Schweiz ein Déjà-vu gehabt haben. «Am Dienstagmorgen meldeten uns die italienischen Touristen, dass sie bei einem Ausflug im Entlebuch drei halbtote Katzenwelpen gefunden hätten», sagt Esther Geisser, Präsidentin der Tierschutzorganisation Network for Animal Protection (Netap). Niemand vor Ort habe angeblich gewusst, woher die Kätzchen gekommen seien und niemand habe helfen wollen. «Über Umwege erreichten die Finder schliesslich Netap.»
Die drei Kätzchen seien nicht mehr als eine Woche alt und unterernährt gewesen, sagt Geisser. «In der Not gab die Familie ihnen Kuhmilch, was eigentlich schlecht ist für Katzen.» Die Touristen hätten sich sehr bemüht, die Kätzchen zu retten. Netap habe die Tiere abgeholt. «Leider starben dann zwei der drei Katzenwelpen beim Tierarzt.»
Die Entwicklung bereitet ihr Sorgen. «Es ist der erste Sommer, in dem wir auch Meldungen von Touristinnen und Touristen bekommen, die in ihren Ferien in der Schweiz über Katzenelend stolpern.» Bis jetzt habe sie zwei weitere ähnliche Fälle aus dem Kanton Luzern und einen aus dem Kanton Graubünden erhalten. «In der Regel rufen Touristen an, weil sie in den Ferien in Spanien, Italien oder Griechenland – und nicht in der Schweiz – mit Katzenelend konfrontiert werden.» Für Geisser hat das Katzenelend hierzulande damit einen neuen Höhepunkt erreicht. «Das zeigt doch deutlich, dass der Staat endlich handeln muss.»
Katzenelend als Tourismus-Slogan
Im Kanton Luzern ist das Katzenelend laut Geisser besonders gross. «Ein Viertel der Fälle konzentriert sich auf den Kanton Luzern.» In diesem Jahr registriert Netap rund 230 Einsätze. «Rund 60 davon im Kanton Luzern mit über 200 Katzen, die wir untersuchen, behandeln und kastrieren mussten», sagt Geisser. In einem Facebook-Post versieht sie deshalb den Slogan von Luzern Tourismus mit den Attributen: «Erlebnisregion Luzern. Die Stadt. Der See. Die Berge. Das Katzenelend.»
Netap kämpft seit Jahren für eine Kastrationspflicht (siehe Box unten). «Wären sämtliche Halter von Freigänger-Katzen verpflichtet, diese kastrieren zu lassen, könnte das Katzenelend gestoppt werden», sagt Esther Geisser.
Auch Tierheime geraten an ihre Grenzen. 2023 nahmen Tierheime rund 7600 Katzen auf, 2022 waren es noch rund 7100, wie der Schweizer Tierschutz am Donnerstag mitteilte.
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Angefragte linke Nationalrätinnen und -räte geben an, sich nicht zu einer Kastrationspflicht äussern zu wollen, weil sie darüber zu wenig im Bilde seien. Andere reagieren zurückhaltend. Nach Corona hätten sich viele Menschen ein Haustier zugelegt und sich nicht darüber informiert, was dies bedeute, sagt der Luzerner SP-Nationalrat Hasan Candan. «Bevor man nationale Massnahmen wie unter anderem eine Registrationspflicht und eine Kastrationspflicht prüft, ist eine Sensibilisierung für die korrekte Katzenhaltung wichtig.»
«Würde Besitzer unter Generalverdacht stellen»
Auf bürgerlicher Seite haben staatliche Vorschriften ohnehin einen schweren Stand. Der Luzerner FDP-Nationalrat Peter Schilliger empfiehlt den Katzenhalterinnen und -haltern, das Kastrieren ihrer Katzen zu prüfen. Eine Kastrationspflicht lehnt er aber ab. «Dies würde die Besitzer unter einen Generalverdacht stellen.» Zudem würde es auch bei einer Pflicht Frauchen und Herrchen geben, die ihre Freigänger unkastriert rausliessen, sei er überzeugt. Ausserdem beurteilt Schilliger das Katzenelend in der Schweiz als überschaubar. «In Ländern wie Polen sind streunende Katzen ein weitaus grösseres Problem als hier.» Die gemeldeten Fälle von Touristen diesen Sommer bewertet er als «Zufallstreffer».