Quelle: Studie zum sexuellen Missbrauch in der kath. Kirche wird präsentiert / 12.09.2023
Für eine Studie zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche veröffentlichte die Universität Zürich vergangene Woche ihre Zahlen. Die Forschenden konnten 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch sowie systematische Vertuschung durch Verantwortungsträger belegen.
Diese Zahlen hängen schwer über der katholischen Kirche und lassen eine weitere Zahl in die Höhe schnellen und zwar die derjenigen, die jetzt aus der Kirche austreten. Das sagt auch Stefan Amrein, der die Webseite «Kirchenaustritt Schweiz» betreibt.
Rekordverdächtige Anfragen zum Kirchenaustritt
«Wir verzeichnen immer wieder eine Zunahme der Gesuche, wenn ein Skandal innerhalb der Kirche publik wird», sagte Amrein gegenüber der «Aargauer Zeitung». So hoch wie in den letzten Tagen sei die Nachfrage aber noch nie gewesen, fügt Amrein an.
Auf der Webseite bietet Amrein seit 2010 ein Gratisformular an. Das Formular herunterladen, unterschreiben und an die Kirchgemeinde schicken – fertig. Seit die Studie veröffentlicht wurde, läuft sein Postfach über und die Hotline auf Hochtouren.
«Bei vielen war es eine sehr emotionale Entscheidung», erklärt er weiter. Die Ergebnisse der Studie seien der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Er selber ist bereits 2010 aus der Kirche ausgetreten.
Kirche sollte nicht mit Moral-Kelle anrühren
Von diversen Gläubigen werde er immer wieder angefeindet. Sein Angebot werde als unmoralisch bezeichnet. Zu Herzen nimmt sich Amrein die Kritik nicht. Zum Thema Moral hat er eine klare Meinung: «Ich bin mir nicht sicher, ob die Kirche in der aktuellen Situation die richtige Stelle ist um über Moral urteilen zu können», so Amrein zur «Aargauer Zeitung».
Wie viele Personen bisher ausgetreten sind, weiss er nicht. Amrein meint aber, dass er nicht überrascht wäre, wenn 2023 ein neuer Rekord aufgestellt würde und so viele Menschen austreten wie noch nie.
Politikerinnen und Politiker sehen Partei in der Pflicht
In der Pflicht sehen bürgerliche Politikerinnen und Politiker auch die Mitte-Partei, ehemals CVP. Diese sei traditionell eng mit der Kirche verbunden, meint zum Beispiel die Zürcher Nationalrätin Doris Fiala gegenüber CH Media Radio News. Die Partei habe der Kirche in den katholisch geprägten Kantone zu wenig auf die Finger geschaut.
SVP-Nationalrat Alfred Heer sagt dazu: «Staatsanwaltschaft und Polizeien können auch heute schon einschreiten, haben aber offensichtlich Hemmungen. Besonders in CVP-regierten Kantonen.» In den USA oder Australien sei man hingegen knallhart, betont Heer. Dort habe man fehlerhafte Kleriker verhaftet.
Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.
Panik-Reaktion und kein parteipolitisches Problem
Die Mitte findet, das gehe klar zu weit. Die Basler Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter ist sauer, dass man ihre Partei an den Pranger stellt. So werde versucht, die Mitte zu schwächen. «Für mich ist das ein klarer Fall einer Panik-Reaktion der FDP, weil deren Umfrage-Werte schlecht sind», sagt sie.
Seit Jahren sei die Mitte keine Partei aus dem katholischen Milieu mehr. Sie betont auch, dass sie sich aus diesem Grund schon vor Jahren dafür eingesetzt habe, den Parteinamen von CVP zu Mitte zu ändern.
Diese Missbrauchsfälle und alles darum herum seien doch kein parteipolitisches Problem, findet auch der Solothurner Ständerat Pirmin Bischof. «Das ist ein Phänomen, das in der gesamten katholischen Kirche vorkommt. Und zwar nicht nur in der Schweiz», so Bischof auf Anfrage.
Meldepflicht nicht eingehalten
Diese Missstände sollen jetzt im Detail aufgearbeitet werden, betonte die katholische Kirche letzte Woche. Ob die Kirche diesem Unterfangen im Alleingang gerecht werden kann, ist fraglich. In den letzten Jahren war die Kirche zumindest nicht fähig, Missbrauchsfälle zu melden, obschon sie dazu verpflichtet gewesen wäre.
(Manuel Iseli, Aargauer Zeitung, roa)