Die Landesregierung schliesst sich den EU-Sanktionen gegen Russland nicht blindlings an – wie so oft fährt sie eine eigene Linie. Die Sanktionsbeschlüsse werden nur teilweise übernommen, Vermögen von russischen Staatsangehörigen beispielsweise möchte der Bundesrat vorerst nicht einfrieren. Dadurch will er die traditionelle neutrale Haltung wahren. Vor allem in Hinblick auf kommende Friedensverhandlungen soll die Schweiz eine unvoreingenommene Position wahren.
Sympathiepunkte hat der Bundesrat, allen voran Bundespräsident Ignazio Cassis (FDP), der die Bundesratsbeschlüsse am Donnerstagnachmittag in einer doch eher missglückten Pressekonferenz verkündete, nicht gewonnen. Man verstecke sich – wieder einmal – hinter der Neutralität so der Tages-Anzeiger. «Doch selbst die neutralste Vermittlerin kennt Grenzen. Sie liegen dort, wo sie ihre ureigensten Werte verraten müsste.»
«Endlich Rückgrat zeigen»
Zeige die Schweiz nun Haltung, tue sie es in einem «klaren Fall einseitiger Aggression». Die Neutralität verpflichte sie daher nicht zu einer gleichen Distanz zu beiden Parteien. Der versteckte Appell hinter diesen Worten: Der Bundesrat sollte seine aktuellsten Beschlüsse zum Ukraine-Konflikt überdenken und Farbe bekennen. So, wie es sich viele Teile der Bevölkerung ebenfalls wünschen.
Als SP-Co-Präsident Cédric Wermuth am Samstagnachmittag im Rahmen der Friedensdemonstration in Bern den Bundesrat aufforderte, «endlich sein Rückgrat zu finden», schien er den Nerv der anwesenden 20'000 Demonstranten getroffen zu haben. Wermuths Partei hat indessen eine Petition lanciert, welche das vollumfängliche Mittragen der EU-Sanktionen fordert. Stand Sonntagmorgen wurde diese bereits von über 100'000 Menschen unterzeichnet
Schenkt man einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts «Link» Glauben, dann teilt tatsächlich die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Forderungen der SP. 56 Prozent der Befragten sprechen sich für die Übernahme der EU-Sanktionen aus und sehen darin keine Beeinträchtigung der Schweizer Neutralität. 22 Prozent hingegen erachten dies als Problem, wie der «SonntagsBlick» schreibt.
Fast alle Parteien sind sich einig
Damit stimmt rund ein Fünftel mit der Linie der SVP überein: Sie war die einzige Partei, die sich im Gegensatz zur SP, den Grünen, der Mitte und der FDP gegen die vollständige Übernahme der EU-Sanktionen ausgesprochen hatte. Die Schweiz sei ein neutraler Staat und habe sich nicht in fremde Konflikte einzumischen, teilte die Partei bereits am Mittwoch mit. Der Bund habe in erster Linie sicherzustellen, dass die Sanktionen nicht über die Schweiz umgangen werden könnten.
Damit stärkt die SVP dem Bundesrat den Rücken. Doch wie lange noch wird dieser am Sonderweg festhalten? Möglich nicht mehr lange: Nachdem die EU am Samstag neue Sanktionen beschloss, war aus Bundesbern zu vernehmen, diesbezüglich «so schnell wie möglich» einen Entscheid treffen zu wollen. Die Forderungen von Links bis hin zu Bürgerlich-Liberal könnten also womöglich gewirkt haben.