Schweiz

Menschehandel in der Schweiz – Politiker fordern Massnahmen

Sexarbeit und Nagelstudios

«Sind im Sumpf» – Politiker wollen Menschenhandel stoppen

· Online seit 12.09.2024, 04:45 Uhr
Das Rotlichtmilieu, aber auch Nagelstudios sind in Städten wie Bern und Zürich beliebte Arbeitsorte für Menschenhändler. Ein nationaler Aktionsplan sagt dem Problem den Kampf an. Dennoch schlägt der Berner Mitte-Nationalrat Reto Nause Alarm.

Quelle: +41

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Sie trägt modisch zerrissene Jeans, ein bauchfreies Oberteil und hat rot lackierte Fingernägel. Auch das Smartphone, das in ihrer Gesässtasche steckt, liesse sie für eine gewöhnliche junge Frau halten. Doch die SMS auf ihrem Handy verschickt ein Mann, der sie kontrolliert und fernsteuert.

Mit 18 Jahren wurde die Frau zuerst in Rumänien und dann in Spanien zu Sexarbeit gezwungen. Dies erzählt sie weinend bei einer Kontrolle der Stadtberner Fremdenpolizei in einem mehrstöckigen Haus mitten in der Berner Innenstadt. Dort können Sexarbeiterinnen Wohnungen und Zimmer mieten. «Es ist nicht so, dass ich diesen Job gerne machen würde. Es fällt einfach am leichtesten. Meine Kinder brauchen Geld», sagt die geschiedene fünffache Mutter den Polizisten (siehe Video oben). Sie habe sich gegen die Zwangsprostitution nicht wehren können.

Gefälschte Ausweise

Ähnliche Zustände herrschen an der Zürcher Langstrasse. Dort soll es über zehn verschiedene Netzwerke geben, die Frauen zur Sexarbeit zwingen.

Neben dem Rotlichtmilieu sind auch Nagelstudios beliebte Ausbeutungsorte für Menschenhändler. Dort platzieren sie Vietnamesen mit gefälschten Dokumenten und beuten sie aus. In den letzten zwei Jahren hat ein Team der Stadtberner Fremdenpolizei bei Kontrollen in Nagelstudios der Stadt Bern sechs Ausweisfälschungen, ein Opfer von Menschenhandel sowie zwei potenzielle Opfer von Menschenhandel identifiziert.

Alexander Ott, Vorsteher der Fremdenpolizei der Stadt Bern, fordert mehr Unterstützung vom Bund in Form von einheitlichen Kontrollen. «Man kann im Kampf gegen Menschenhandel nie genug machen», sagt er zur Today-Redaktion. Heute kämen viele Personen aus EU/EFTA-Staaten mit gefälschten Ausweisdokumenten in die Schweiz. «So hat jemand aus Nordmazedonien plötzlich einen bulgarischen Pass und kann die volle Personenfreizügigkeit geniessen.» Grund dafür sei, dass in der Schweiz keine flächendeckenden Kontrollen der Dokumente stattfänden.

Aktionsplan solle konsequent umgesetzt werden

In vielen Gemeinden und Städten mangelt es laut Ott zudem an Passlesegeräten. Nun müssten Taten folgen. «Ich erwarte, dass der Aktionsplan gegen Menschenhandel konsequent umgesetzt wird.» Die Strafverfolgungsbehörden, die Migrationsbehörden und die NGOs müssten an einem Strick ziehen.

2022 hiess der Bundesrat den dritten Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Menschenhandel gut (siehe Box unten). Der Bund stockte die Unterstützung für den NAP auf 600'000 Franken auf. Unter anderem aus diesem Grund lehnte der Ständerat am Dienstag eine Motion der ehemaligen EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller ab, die mehr Ressourcen für den Kampf gegen Menschenhandel forderte. Damit ist das Geschäft vom Tisch.

«Auch bei Hausangestellten passieren grauenhafteste Dinge»

SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf zweifelt daran, dass der Aktionsplan ausreicht. «Der Bund müsste das Heft noch stärker in die Hand nehmen», fordert sie. Es fehle ein zentrales Datensystem. Zudem sei die Sensibilität für das Thema noch nicht gross genug. «Ausserhalb der grossen Städte glauben Leute oft, dass Menschenhandel in der Schweiz nicht existiere.» Dabei sei dies nicht nur im Rotlichtmilieu ein Problem. «Auch bei Hausangestellten oder in Betreuung von Betagten passieren die grauenhaftesten Dinge.»

Seiler Graf, die Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe für Menschenhandel ist, will die Entwicklung scharf beobachten. «Zeigt sich, dass die geplanten Massnahmen keine Wirkung erzielen, werden wir innerhalb der Gruppe einen angepassten Vorstoss prüfen.»

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Handlungsbedarf sieht auch Reto Nause, Mitte-Nationalrat und Berner Sicherheitsdirektor. «Wir sind beim Menschenhandel in der Schweiz ziemlich im Sumpf», sagt er. Die Schweiz müsse aufpassen, dass ihr nicht dieselbe Situation wie in Deutschland blühe. «Dort haben Clan-Strukturen in ganzen Quartieren und Stadtteilen die Macht übernommen.» Griffigere Gesetze seien deshalb wichtig.

«Die Gesetze müssen ermöglichen, dass man Menschenhändler beim ersten Vergehen zu einer Haftstrafe verurteilen und auch das Geld einziehen kann», sagt Nause. Heute kämen die Täter meist mit einer Busse davon und könnten weiter ihr Unwesen treiben. Auch solle der Bund flächendeckend Pass-Scanning-Geräte zur Verfügung stellen. «Kleinere Verwaltungen scannen die Pässe immer noch nicht, was für das Identifizieren von gefälschten Pässen fatal ist.»

Verdächtige Barber-Shops

FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen sieht den Bund beim Kampf gegen Menschenhandel nicht weiter in der Pflicht. Der Bund habe bereits viel unternommen, sagt er. Stattdessen müssten die Kantone als Vollzugsbehörden zusätzliche Mittel bereitstellen. «Die Kantone haben die Eigenart, sich bei der Finanzierung immer hinter dem Bund zu verstecken.»

Genauer müssten die Kantone laut Wasserfallen etwa auch bei Barber-Shops hinschauen. «Ich habe mich schon oft gefragt, wie in Shops, die Tiefstpreise anbieten, aber den ganzen Tag leer sind, sauber Geld verdient und das Personal geschützt werden kann.»

SVP-Nationalrat Mauro Tuena betont, dass Prostitution per se nicht verboten sei, es aber umso wichtiger sei, dass diese in legalem Rahmen stattfinde. Den Bund sieht er nicht weiter in der Verantwortung. «Zuerst sollten die Gemeinden und Städte prüfen, ob allfällige Lücken mit internen personellen Verschiebungen geschlossen werden können.» Oft genügten die Ressourcen, jedoch würden sie falsch eingesetzt.

veröffentlicht: 12. September 2024 04:45
aktualisiert: 12. September 2024 04:45
Quelle: ZüriToday

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