Die Schweiz hatten keine Kolonien – dennoch profitierte sie vom Kolonialismus der europäischen Länder. Zumeist stand sie wirtschaftlich im Einklang mit den Kolonialmächten und hat sich daher an Land und Ressourcen bereichern können. Wie das aussehen konnte, zeigen zwei Beispiele aus Basel und Bern.
Grossteil der Exponate liegt in Depots
Das Bernische Historische Museum hat vor knapp zwei Jahren seine hauseigene ethnografische Sammlung durchleuchtet. Im Fokus standen dabei mehrere 100 Objekte aus Namibia: Kopfschmuck, Armringe, ein abgeschnittener Haarzopf oder ein abgelaufener Kinderschuh. All das sind Zeugnisse eines dunklen Kapitels, denn die Exponate stammen aus der Zeit des Völkermordes an den Herero und Nama in Namibia, wie «SRF» berichtete. Ein Name, der dabei immer wieder auftauchte, war der des Schweizer Sammlers Victor Solioz. Er arbeitete im Auftrag der deutschen Kolonialmacht, während des Genozids an den lokalen Herero und Nama. Er selbst verhielt sich loyal zu den Kolonialisten. «Solioz stand mitten im Kolonialismus, auch wenn er sich vielleicht selbst gar nicht als kolonialer Akteur wahrgenommen hat» sagte Julia Tischler, Professorin für die Geschichte Afrikas an der Universität Basel, damals gegenüber «SRF».
Im Museum der Kulturen Basel MKB liegen Hunderte von Objekte aus Französisch-Polynesien. In den 1930er-Jahren haben zwei Reisende aus der Schweiz auf der Insel Hiva Oa, unter teils illegalen Bedingungen, eine Sammlung zusammengestellt und dem Völkerkunde- und dem Naturhistorischen Museum in Basel übergeben. So fanden Waffen, Tiere, steinerne Ahnenfiguren, Schmuckstücke, alte Gefässe, Stoffteile, Knochen und vieles mehr zusammen ihren Weg nach Basel. Und diese Exponate liegen zumeist noch im Museum in riesigen Depots. Nur ein ganz kleiner Bruchteil, etwa ein Prozent, wird in den jeweiligen Ausstellungen gezeigt.
Die Ethnologin Beatrice Voirol ist Kuratorin für Ozeanien am MKB und setzt sich dafür ein, dass deren Herkunft untersucht und erfasst wird. Dabei stehen vor allem die Stücke aus Polynesien im Vordergrund. «Für die Menschen dort verfügen die Objekte immer noch über grosse Kraft», erklärt Voirol im Gespräch mit ArgoviaToday. Es sei dazu selten ein klarer Fall von Diebstahl. «Oft waren es Austauschbeziehungen, die ein Machtgefälle aufzeigten.» Das heisst, jemand wurde übervorteilt, die Preise waren nicht angemessen oder es wurden mit Naturalien wie Alkohol oder Tabak bezahlt.
Wie werden die Sammlungen aufgearbeitet?
Was passiert nun aber mit den Schädeln und Knochen, die noch in der Sammlung sind? «Der Umgang ist eigentlich klar bei der ICOM (International Council of Museum) geregelt. So muss transparent gemacht werden, dass das Museum über menschliche Überreste verfügt und diese Ahnen müssen rückgeführt werden, wenn das gewünscht wird», so die Expertin. Aber wie können diese zurückgebracht werden, wenn viele Menschen gar nicht wissen, in welchem Museumsdepot ihre Vorfahren liegen? Viele Gemeinschaften wissen nämlich gar nicht, dass ihre Ahnen nicht ordentlich bestattet wurden. «Was wir in diesen Fällen sicher sagen können, keine dieser Ahnen, die in den Depots lagern, haben das selbst so für sich entschieden.»
Das sei eine schwierige Situation, gibt Voirol an. Vor allem auch, weil «wir meist nicht lückenlos belegen können, woher ein Ahne stammt und was der Kontext war, weil das nicht ausgeschrieben ist. Aber wir können recht viel erforschen», sagt sie. Das Museum der Kulturen arbeitet aktuell in einem Verbundprojekt «going home» mit dem Naturhistorischen Museum zusammen. «Dort erfassen wir alle menschlichen Überreste.»
Museen dürfen keinen Druck machen
Die Resonanz darauf ist allerdings recht unterschiedlich. «Es gibt Gemeinschaften, die sehr an einem Austausch interessiert sind. Die sind auch organisiert, kennen sich aus und stellen womöglich auch eine Restitutionsforderung. «Für diese Gemeinschaften ist es völlig irritierend und traumatisierend, wenn Ahnen nicht ordentlich bestattet werden» erklärt die Kuratorin.
Dann gebe es aber auch Gemeinschaften, die nichts mehr mit ihrer Geschichte zu tun haben wollen, und das müsse ebenso respektiert werden. «Zum Beispiel sind die Menschen mittlerweile Christen. Und wir können nicht immer genau bestimmen, zu welchem Clan der Ahne gehört.» Dann stelle sich hierbei die Frage, wie wird dieser nun bestattet. Davon ausgehend, sei eine Restitution nicht immer zielführend. «So etwas kann bestehende Gemeinschaften durcheinanderbringen», fügt Voirol an. Da dürfe ein Museum keinen Druck machen, denn «die Leute sind bereit, wenn sie bereit sind». Und manchmal sei es auch besser, wenn die Vorfahren noch zehn Jahre länger in der Schweiz bleiben.
Vorteile für die Schweiz
Dass die Schweiz keine Kolonien hatte – nicht so wie Frankreich, die Niederlande, Deutschland oder England – kann für die Rückgabe der Kolonialgüter auch ein Vorteil sein, wie die Kuratorin berichtet. «Wir können die komplexen Verstrickungen aussen vor lassen und direkt mit den Ursprungsgemeinden die Bedürfnisse aushandeln.» Je mehr Institutionen involviert seien, umso handlungsunfähiger würde man werden, so Voirol.
Die Herkunftsforschung hat in den meisten Schweizer Museen begonnen. Neben dem Bernischen Historischen Museum oder dem Museum der Kulturen Basel hat unter anderem auch das Antikenmuseum in Basel oder auch das Rhätische Museum damit begonnen. Abgeschlossen ist die Arbeit aber noch lange nicht.
Aktuell sei das Museum der Kulturen noch in einer ersten Phase, «wo wir uns wirklich erstmal einen Überblick über unsere Sammlung verschaffen wollen», erklärt die Kuratorin. Aufgrund der Datenlage sei eine Vertiefung aber gut möglich und «wir können zudem noch den Kontakt zur Ursprungsgemeinschaft herstellen», berichtet sie. Diese haben noch orale Traditionen, die bei der Forschung helfen und eine neue Seite beleuchten können. «Es ist das Wichtigste, dass wir den Prozess starten können und dann gemeinsam schauen, wie es weitergeht und was für alle Beteiligten die beste Lösung ist», sagt Voirol weiter.