In einigen Sportarten schränken Sportlerinnen und Sportler ihre Energiezufuhr ein, um eine bessere Leistung zu erbringen. Essstörungen im Leistungssport gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und sind weiterverbreitet als angenommen. Zu den Risikosportarten für Essstörungen zählen neben Skispringen unter anderem Turnen, Rhythmische Sportgymnastik, Eis- und Rollkunstlauf, Klettern, Judo, Wasserspringen sowie Ausdauersportarten wie Triathlon, Langstreckenlauf, Biathlon und Skilanglauf, wie «Deutschlandfunk» schreibt. In diesen Sportarten sei die Ästhetik sehr wichtig, das Körperbild wird zum einen mitbewertet, ist für die Leistung mitentscheidend oder zum anderen spielt das Körpergewicht durch Gewichtsklassen eine übergeordnete Rolle, heisst es in einer wissenschaftlichen Untersuchung der Universität Zürich.
Nicht immer wird wahrheitsgemäss geantwortet
Eine Essstörung festzustellen oder gar zu kontrollieren, sei enorm schwierig und zu Beginn oft unmöglich, sagt Sportmedizinerin Sibylle Matter Brügger vom Sports Medical Center Medbase Bern Zentrum. «Es gibt psychologische Fragebögen, in denen auch das Essverhalten abgefragt wird. Diese sind allerdings nur aussagekräftig, wenn sie wahrheitsgemäss ausgefüllt werden.» Viele Sportlerinnen und Sportler geben erstmal an, keine Probleme mit dem Essen zu haben. «Anhand spezifischer Fragen achten wir auf die Antworten und machen uns dann ein Bild. Es ist wichtig, ein Vertrauensverhältnis mit den Sportlerinnen und Sportler aufzubauen», so Matter Brügger.
Es gibt jedoch keinen Laborwert oder einen Messwert, welcher einen kritischen Bereich anzeigt. «Wir haben nur den Body-Mass-Index, der jedoch nur generell gilt und nicht individuell. Da jeder Mensch anders aufgebaut ist, kann der BMI nicht immer als Grundlage herangezogen werden.» Die sogenannte rote Linie, die in Bezug auf das Gewicht überschritten wird, ist bei jedem individuell. «Man darf daher Athletinnen oder Athleten nicht stigmatisieren und nicht nur das Gewicht berücksichtigen.» Daher ist sie auch immer wieder auf eine ehrliche und ausführliche Kommunikation angewiesen.
Körperfettmessung nicht immer sinnvoll
Wird Untergewicht festgestellt, kann je nachdem eine Körperfettmessung oder eine Körperzusammensetzungsmessung gemacht werden. «Allerdings bin ich da eher vorsichtig. Sehen junge Menschen ihren Körperfettanteil, kann das suggerieren, dieser liege immer noch im hohen Bereich, obwohl das nicht stimmt.» Daher führt Matter Brügger diese Messungen wenn überhaupt, dann bei Sportlerinnen und Sportlern durch, mit denen schon die nächsten Schritte und das Zielgewicht besprochen wurde, um einen entsprechenden Ausgangswert zu haben. Sollte das Zielgewicht allerdings nicht erreicht werden, erhärte sich der Verdacht einer Essstörung. «Wir beobachten den Verlauf und bewerten anhand dessen, ob es sich um eine mögliche Essstörung handelt oder nicht.»
Betroffene nicht unter Druck setzen
Wenn ein gestörtes Essverhalten im Spitzensport diagnostiziert wird, sind auch Eltern (bei Minderjährigen), Funktionäre und Verbände gefragt. Die Sportmedizinerin bindet diese mit ein. Es benötigt zudem unbedingt eine psychologische Betreuung sowie Ernährungsberatung. «Oft ernähren sich die Betroffenen auch falsch oder machen zu lange Essenspausen, dem wollen wir mit einer ausgewogenen Beratung entgegenwirken.» Ein wichtiger Pfeiler seien jedoch die Trainerinnen oder die Trainer, welche den Prozess unbedingt unterstützen sollen und nicht behindern. «Ansonsten findet sich die Betroffenen in einem Spannungsverhältnis wieder, was der Genesung nicht förderlich ist und sie unter Umständen kaputt machen», sagt Matter Brügger. Zusammenarbeit sei in so einem Fall enorm wichtig.
Im Idealfall gibt es mit allen Beteiligten ein Gespräch, in dem gemeinsam nach Lösungen und dem Genesungsweg gesucht wird. «Das kann in die Richtung gehen, dass der Verband den Druck von den Athleten und Athletinnen nimmt und diese zwölf Monate keinen Wettbewerb bestreiten müssen oder auch nicht dürfen und dennoch ihre Förderung nicht verlieren.» Anschliessend werden die Schritte besprochen, was in dem Jahr gemacht werden muss. «Das kann zum Beispiel eine psychologische Betreuung sein, verbunden mit einer Gewichtszunahme und Normalisierung der Menstruation», fügt die Medizinerin an. «Es ist wichtig, den Betroffenen in so einem Fall eine positive Botschaft mitzugeben, zu zeigen, dass man hinter ihm oder ihr steht und unterstützend wirkt.» Sollten die Schritte in dem Jahr jedoch nicht erfüllt werden, gelten diese Voraussetzungen dann allerdings nicht mehr. Die Behandlung sollte allerdings fortgesetzt werden.
Fatale Auswirkungen – teils für immer
Eine Essstörung kann sich zudem negativ auf den Körper auswirken. Zum einen wird die Kraft und Leistungsfähigkeit reduziert, die Verletzungs- und Infektanfälligkeit ist erhöht, die Knochendichte nimmt ab, was teilweise irreversibel ist, die Monatsblutung bleibt aus, je nach Alter kann das die Entwicklung und das Wachstum einschränken, der Stoffwechsel kommt durcheinander, häufig geht ein gestörtes Essverhalten auch mit Depressionen einher und die Energiereserven nehmen stets weiter ab. «Vor allem eine verringerte Knochendichte ist ein absolutes Warnzeichen sowie eine ausbleibende Periode. Damit schaden sich die Betroffenen nachhaltig», erklärt Matter Brügger. In der Sportmedizin spricht man in so einem Fall von einem «Relativen Energiedefizit Syndrom (RED-S)».
Die Aufmerksamkeit bei den Sportverbänden für das Risiko von Essstörungen ist in den vergangenen Jahren gestiegen, bis hoch zum Internationalen Olympischen Komitee. Um wieder gesund zu werden, müssen die Athletinnen ein normales Essverhalten und Gewicht erreichen. Und das kann je nach Ausprägung der Essstörung mehrere Jahre dauern.
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