Schutz vor Gewalt

Sportsoziologe: Wer sicheren Sport will, muss Ambitionen zurückschrauben

· Online seit 27.01.2023, 15:39 Uhr
Schweizer Sportlerinnen und Sportler sollen besser vor Gewalt geschützt werden, so will es der Bundesrat. Er hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass Vereine nur noch finanziell unterstützt werden, wenn sie sich für sicheren Sport einsetzen. Dem Sportsoziologen Siegfried Nagel geht dies nicht weit genug.
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Sportministerin Viola Amherd hatte die strengeren Regeln an einer Medienkonferenz in Bern verkündet. Die Sportförderungsverordnung wird demnach per 1. März 2023 so angepasst, dass Subventionen gekürzt, gestrichen oder zurückverlangt werden, wenn sich Sportorganisationen nicht an ethische Grundsätze halten. Diese Grundsätze hatte das Sportparlament von Swiss Olympic Ende 2021 verabschiedet.

Kernelement des Schutzes vor Gewalt und Diskriminierung ist eine unabhängige nationale Meldestelle. Sie ist schon seit Anfang 2022 in Betrieb und wird laut Amherd «rege genutzt». Die Bundesrätin berichtete von über 300 Meldungen im ersten Betriebsjahr. Vor allem für junge Menschen sei es einfach, sich an die Meldestelle zu wenden.

Für Siegfried Nagel, Professor für Sportsoziologie an der Universität Bern, sind die vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen zwar sinnvoll, aber nur ein erster Schritt, um die Problematik wirkungsvoll zu bekämpfen. «Eine unabhängige Meldestelle ist sicherlich wichtig, aber es braucht noch mehr», sagt Nagel im Interview mit der Radio-Redaktion von CH Media. «Insbesondere Präventionsmassnahmen, die für einen wertorientierten, ethisch verantwortungsvollen Sport einstehen.»

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Vereine sollen belohnt statt bestraft werden

Statt Subventionskürzungen für Vergehen, wünscht sich der Sportprofessor eine umgekehrte Denkweise: «Vereine und Verbände sollen finanzielle Mittel erhalten, um das Thema ‹Gewalt im Sport› an die Tagesordnung zu bringen.» Denkbar wären etwa Anreize, die dazu führen könnten, dass im Schweizer Sport das Thema Ethik und Werteorientierung eine wichtigere Rolle bekomme. Das Geld könne beispielsweise in die Ausbildung von Trainerinnen und Trainern investiert werden.

Missbräuche, wie sie etwa am Leistungszentrum der staatlichen Sporthochschule Magglingen vorkamen, haben laut Nagel systembedingte Ursachen. Diese würden die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es zu Missbräuchen kommt. Viele Athletinnen, gerade im Turnen, seien sehr jung und hätten deshalb ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zu Trainerinnen und Trainern.

Es brauche deshalb mehr als eine Meldestelle. Verbände und Vereine könnten zusätzlich ein «Göttisystem» implementieren. Darunter versteht Siegfried Nagel eine Vertrauensperson, die achtsam sei. Gewissermassen ein Vier-Augen-Prinzip in der sportlichen Ausbildung. Auch sollen die Athletinnen und Athleten in ihrer Selbständigkeit gestärkt werden. So könne das Abhängigkeitsverhältnis zur Trainingsperson abgeschwächt werden.

Bund und Swiss Olympic sollten Fördermassnahmen überdenken

Wegkommen müsse der Schweizer Sport auch von der Erfolgsorientierung – und sich stattdessen mehr an Werten orientieren. «Verbände, insbesondere Swiss Olympic und der Bund, sollten Fördermassnahmen nicht nur anhand olympischer Erfolge, sondern auch anhand wertebasiertem Vorgehen bemessen», fordert Nagel.

Zudem sieht der Direktor des Berner Instituts für Sportwissenschaft nicht nur die Vereine, sondern auch die Eltern in der Verantwortung. Letztere sollten ihre Kinder besser schützen. «Eltern sollen wach sein, auf ihr Kind hören und versuchen heraus zu spüren, ob etwas nicht stimmt», sagt der Experte. Das bedeute auch, die eigenen Ambitionen zurückzuschrauben.

(gin/sda/Marius Fleischli)

veröffentlicht: 27. Januar 2023 15:39
aktualisiert: 27. Januar 2023 15:39
Quelle: Today-Zentralredaktion

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