Long Covid

Studie beweist: Corona kann das Hirngewebe schädigen

· Online seit 17.11.2021, 07:37 Uhr
Ob und wie sich Covid-19 auf das Gehirn auswirkt, war lange Zeit unklar. Eine neue Studie aus Oxford liefert erstmals Belege, dass Corona bestimmte Hirnareale dauerhaft beeinträchtigen kann. Ein wertvoller Schritt im Kampf gegen Long Covid, findet der Chefarzt der Neurologischen Klinik am KSA.
Anzeige

Über die Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung ist bisher noch nicht viel bekannt, da diese knapp zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie noch nicht genug erforscht sind. Zu Beginn der Pandemie fokussierten sich Mediziner und Wissenschaftlerinnen auf die Lungenschäden, welche eine Infektion – insbesondere nach einem schweren Verlauf – verursachen kann. Eine neue Studie aus Oxford deutet nun darauf hin, dass eine Covid-Infektion auch das Nervensystem angreifen und die Hirnfunktion der Patienten und Patientinnen dauerhaft beeinträchtigen kann.

So konnten die Wissenschaftlerinnen bei Personen nach einer Covid-Infektion einen signifikanten Verlust grauer Substanz in bestimmten Hirnregionen feststellen, während die Hirnscans der nicht an Corona erkrankten Personengruppe keine Veränderungen vorwiesen. Die graue Substanz ist Teil des zentralen Nervensystems und beherbergt die Nervenzellen. Sie steuert wichtige Funktionen des Gehirns wie den Bewegungsablauf, die Wahrnehmung von Sinneseindrücken als auch die Emotionen und das Gedächtnis.

Die Erkenntnisse aus Oxford sind insbesondere für das wissenschaftliche Verständnis von Long-Covid-Symptomen wertvoll, sagt Krassen Nedeltchev, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Kantonsspital Aarau (KSA).

«Immer mehr Patienten kommen mit Long-Covid-Beschwerden zu uns in die Praxis. Wir beobachten bei den Betroffenen zweifelsohne Leistungseinschränkungen, wissenschaftlich konnten wir dieses Phänomen bislang aber weder erklären noch beweisen.» Das habe dazu geführt, dass vermehrt infrage gestellt wurde, ob Long Covid aus medizinischer Sicht überhaupt existiert.

Dass bei Covid-Erkrankten ein deutlicher Verlust der grauen Substanzen festgestellt werden kann, liefert zudem einen neuen wissenschaftlichen Hinweis über die Verbreitung des Virus im zentralen Nervensystem. Demnach können die Erreger über die Nasenschleimhaut aufgenommen werden und von dort direkt ins Nervensystem gelangen, wo sie sich über die Nervenzellfortsätze verbreiten. Das wiederum erklärt den Abbau der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen; insbesondere im Riechhirn, welches mit unserem Gedächtnis oder den Emotionen verknüpft ist.

«Ob und wie sich die Symptome zurückbilden, ist zwar nicht wissenschaftlich belegt, aber wir stellen bei unseren Patienten fest, dass die physische und psychische Verfassung eine erhebliche Rolle bei der Regeneration spielt.» Also: Stressreduzierung, ein stabiles soziales Umfeld und eine gesunde Ernährung können helfen, sich schneller von Fatigue und anderen Corona-Nachwehen zu erholen.

Dass die Erreger überhaupt in das zentrale Nervensystem eindringen können, weist unter anderem auf autoimmune Prozesse während einer Corona-Infektion hin: An Corona erkrankte Personen bilden Antikörper gegen verschiedene Proteine im Gehirn, worauf das Immunsystem reagiert und eigene Hirnstrukturen angreift.

Die Untersuchungen stehen noch am Anfang

«Die neuen Erkenntnisse liefern uns einen Teil der Erklärung und somit einen weiteren Schlüssel, um die Prozesse, die im Gehirn nach einer Covid-Infektion stattfinden, besser zu verstehen», so der Chefarzt abschliessend. Allerdings seien die Abläufe hochkomplex und es brauche noch Zeit und weitere Untersuchungen, um diese vollständig verstehen und einordnen zu können.

«Wir sprechen immer von ‹Long Covid›, befinden uns aber erst im zweiten Jahr der Pandemie. Keine Studie und keine Wissenschaft kann zum jetzigen Zeitpunkt prognostizieren, was in zehn, in zwanzig Jahren sein wird.» Wichtig aber sei, sich bewusst zu machen, dass Fatigue und Erschöpfung kein Hirngespinst, sondern wissenschaftlich nachvollziehbar sind.

veröffentlicht: 17. November 2021 07:37
aktualisiert: 17. November 2021 07:37
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch