«Wir erleben zurzeit die erste weltweite Energiekrise, mit Europa im Epizentrum». Das sagte der Direktor des Bundesamtes für Energie, Benoît Revaz, am Mittwoch vor den Medien in Bern. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation sprach in einer Pressekonferenz darüber, wie es um die Energieversorgung in der Schweiz steht. Fazit: Derzeit ist der Bedarf gesichert, doch in den Wintermonaten könnte es eng und somit auch teurer werden.
Zwar seien die Speicherseen in den Bergen gefüllt wie im langjährigen Mittel, schreibt die Elektrizitätskommission (Elcom) am Mittwoch. Es fliesse nun aber weniger Wasser zu, wegen der vergleichsweise frühen Gletscherschmelze und der anhaltenden Hitzeperiode in der Schweiz und Europa.
Was wenn es zum Gaslieferstopp kommt?
Gas ist laut Elcom von Bedeutung, um im Winter genügend Strom produzieren zu können. Die laufenden Wartungsarbeiten in Russland an der Pipeline Nord Stream 1 hätten hauptsächlich für die Speicher in Deutschland, Tschechien, die Slowakei und Österreich Folgen. Die Gasflüsse in die Schweiz seien weiterhin normal.
Bei einem allfälligen russischen Gaslieferstopp könnten aber laut Elcom grosse Stromunternehmen tatsächlich in Liquiditätsprobleme geraten. Über einen Rettungsschirm für systemkritische Stromkonzerne berät zurzeit das Parlament. Der Ständerat hat das dringliche Gesetz dazu im Juni angenommen.
«Die Lage ist angespannt»
Massnahmen für die sichere Energieversorgung hat der Bundesrat mehrere beschlossen. Im Februar präsentierte Energieministerin Simonetta Sommaruga Pläne für eine Wasserkraftreserve: Betreiber von Speicherkraftwerken sollen gegen Entgelt eine bestimmte Menge an Energie zurückhalten, die dann bei Bedarf abgerufen werden kann.
Im Mai verpflichtete der Bundesrat die Gasbranche, Speicherkapazitäten in Nachbarländern und Optionen für zusätzliche Gaslieferungen zu sichern. Die Schweiz ist nach Angaben des Uvek bei der Gasversorgung vollständig von Importen abhängig.
«Der Krieg hat alles verändert»
Durch den Krieg in der Ukraine sei Europa besonders von der Energiekrise betroffen und damit auch die Schweiz, sagte Revaz. Der Bund und die Akteure arbeiteten seit einigen Monaten daran, Lösungen für die Versorgungssicherheit für den kommenden Winter zu finden.
Das Risiko einer Strommangellage sei real und gross. Deshalb müssten schon heute alle einen Beitrag leisten und kurzfristig weniger Strom verbrauchen. Das sagte Michael Frank, Direktors des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE)
Weniger Wasser verbrauchen, weniger heizen
«Jede Kilowattstunde zählt, nicht nur die produzierte sondern auch die verbrauchte», sagte Frank am Mittwoch vor den Medien in Bern. Stromsparen könne die Bevölkerung zum Beispiel bereits jetzt durch eine Reduktion des Warmwasserverbrauchs oder dann ab dem Herbst durch weniger Heizen.
Bis Ende August soll eine gemeinsame Plattform für eine Sensibilisierungskampagne zum freiwilligen Stromsparen aufgebaut werden. Sie werde Ratschläge beinhalten und im Notfall als Plattform dienen, um die Bevölkerung gemäss dem Gesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung über die Sparmassnahmen zu informieren.
Falls es irgendwann zu einer Strommangellage käme, wären die Aufgaben klar verteilt, ähnlich der Pandemie: «Der Bund beschliesst, die Strombranche, Wirtschaft und Bevölkerung setzen um», sagte Frank.
Bund will im Notfall «unnötigen Stromverbrauch» verbieten
Sollten die freiwilligen Sparappelle nicht funktionieren und nicht zu einer Stromreduzierung führen, dann will der Bund im Notfall sogar Strom rationieren beziehungsweise «unnötigen Stromverbrauch» verbieten. Ultima Ratio sei sogar, einzelne Stromnetze teilweise abzuschalten.
Die Experten warnen davor, die Situation zu unterschätzen. Man solle nicht in Panik verfallen, nichtdestotrotz muss man die «Krise ernst nehmen».
Mehr Wind- und Wasserkraftanlagen
Längerfristig will der Bundesrat die Bewilligungsverfahren für Wind- und Wasserkraftanlagen beschleunigen - die Vernehmlassung dazu läuft. Mit dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, das das Parlament zurzeit berät, will der Bundesrat erreichen, dass in der Zukunft mehr einheimische Energie verfügbar ist.
(sda/baz)