Die Schlagzeilen dürften dem Duo auch in den kommenden Tagen gehören.
Tadej Pogacar sitzt im Kampf um den Gesamtsieg fest im Sattel. Es müsste schon viel geschehen, damit der slowenische Vorjahressieger in den letzten sechs Etappe noch von der Spitze verdrängt werden könnte - auch wenn nun noch drei Bergetappen in Serie anstehen. Deshalb richtet sich der Blick auch jetzt schon auf das Finale mit einer möglichen Sprintankunft am Freitag in Libourne und dem «Sprint royal» am Sonntag in Paris.
Denn spätestens auf den Champs-Elysées könnte Sprinter Mark Cavendish seine Rückkehr aus der Versenkung mit dem fünften Tagessieg bei der 108. Ausgabe der Tour krönen und damit Eddy Merckx einen geglaubten Rekord für die Ewigkeit entreissen: Jenen des Rekord-Etappensiegers, den sich der Brite und die belgische Radsport-Legende seit dem letzten Freitag mit je 34 Erfolgen teilen.
Selbst, als er die Bestmarke in Carcassonne einstellte, blieb «King Cav» demütig. Das ist insofern nicht selbstverständlich, weil sich der schnelle Mann von der Isle of Man früher für keinen grossmäuligen Spruch zu schade war. Doch von 2018 bis 2020 steckte er physisch und psychisch in einem massiven Tief. Niemand traute ihm mehr etwas zu - bis auf seinen alten Teamchef Patrick Lefevere von Deceuninck-QuickStep. Lefevere gab dem 36-Jährigen - für den festgesetzten Mindestlohn von 40'405 Euro - eine Chance und einen Vertrag für eine Saison.
Und Cavendish blühte wieder auf, gewann in der Türkei-Rundfahrt diesen Frühling vier Etappen und erhielt in einer der besten Mannschaften der Welt überraschend ein Tour-Aufgebot, als der Ire Sam Bennett kurzfristig wegen einer Verletzung absagen musste. «Ich bin nur froh, hier zu sein», betonte Cavendish in den letzten Tagen immer wieder. «Mit einigen von den jungen Fahrern bin ich zum ersten Mal bei einem Rennen. In ein paar Jahren werde ich ihnen von der Couch aus zuschauen.»
Vielleicht sogar schon im nächsten Jahr. Das hält Teamchef Lefevere nicht für ausgeschlossen. Im Juni hatte sich der Belgier mit seinem Schützling über die Zukunft unterhalten. «Mark sagte mir, er wolle noch ein weiteres Jahr fahren. Doch mittlerweile sieht die Welt komplett anders aus», sagte Lefevere. «Was ist, wenn er auf den Champs-Elysées im Grünen Trikot seinen 35. Etappensieg holt? Vielleicht sagt er dann, das war es für mich.»
Unvorstellbar ist das von Lefevere gemalte Bild nicht. Zumal es Cavendish eine Chance gewähren würde, die wenige Athleten auf diese Art und Weise bekommen. Er könnte auf dem Höhepunkt seiner Karriere abtreten, ähnlich wie Fabian Cancellara 2016 in Rio de Janeiro mit dem Gewinn der zweiten Olympia-Goldmedaille im Zeitfahren. Beweisen muss Cavendish ohnehin niemandem mehr etwas. Da spielen auch der Rekord und die Rad-Geschichtsbücher keine Rolle.
Am Ruhetag in Andorra wollte Cavendish, dessen erstes Ziel das Überstehen der drei anstehenden Pyrenäen-Etappen ist, aber nichts von einem Rücktritt wissen: «Wenn ich weiter inspirieren kann, möchte ich so lange Rennen fahren, wie es mein Körper zulässt.» Er wisse, dass er nicht ewig Rennen fahren können, aber «ich liebe diesen Beruf immer noch. Und ich bin ja immer noch konkurrenzfähig.»