Als «Fiasko von Salvador» ging das WM-Debakel gegen Frankreich in die SFV-Annalen ein. Beim 2:5 gegen «Les Bleus» verschwanden die Schweizer an der vorletzten Endrunde in Brasilien im Kollektiv von der Bildfläche. «Wir erhielten eine schmerzhafte Lektion und waren zu keinem Zeitpunkt in der Lage, mit dem Gegner mitzuhalten», erinnert sich Diego Benaglio. Der Startsieg gegen Ecuador schmälerte den damaligen Frust nur marginal. «Aber weiterhin alles in den eigenen Händen zu haben, war natürlich hilfreich.»
In der Schweizer Garderobe sassen schweigende Verlierer. Jeder der schwer enttäuschten und medial hart attackierten Beteiligten musste den Rückschlag erst einmal sacken lassen. Die interne Aufarbeitung der 90-minütigen Blossstellung begann spätabends im Hotelzimmer. «Ich sass mit Steph (Lichtsteiner) zusammen und diskutierte kontrovers, was falsch gelaufen war. Wir waren uns nicht immer in allen Punkten einig.»
Die Lehrstunde zur TV-Primetime kam unerwartet. Die Schweizer waren nach einer nahezu makellosen Qualifikations-Kampagne mit breiter Brust nach Südamerika gereist – und sie wähnten sich im Vorfeld des Duells auf Augenhöhe mit der französischen Prominenz. Der Grad der Erschütterung ist durchaus vergleichbar mit dem Schweizer Absturz in Rom; die öffentliche Wahrnehmung des Scheiterns ebenfalls.
Diskutieren ohne Zurückhaltung
«Fussball aus der Vergangenheit!» So in etwa fassten die unerbittlichen Kommentatoren den geschichtsträchtigen Fehltritt gegen die Franzosen zusammen. Benaglio kann nachvollziehen und weiss aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, «wenn niemand in der Schweiz zufrieden ist. Das sind unschöne Momente. Die Kritik bekommt man als Spieler mit und muss einen Weg finden, damit richtig umzugehen.»
Im heissen Juni 2014 erhoben sich im SFV-Camp die Wortführer und bereinigten die angespannte Situation. «Uns war bewusst, dass wir Führungsspieler das Heft in die Hand nehmen mussten. Wir sagten uns: ‹Jetzt stehen wir in der Verantwortung, wohin der Weg geht.› Selbstverständlich sind jene, die aufstehen, auf die Kritikfähigkeit und Bereitschaft aller angewiesen, an den Problemen sofort etwas zu verändern», sagt Benaglio im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Es sei im Leben nie schlecht, sich im richtigen Moment schonungslos die Meinung zu sagen. «Keiner darf in solchen Situationen beleidigt reagieren. Alle müssen mitmachen, sonst redet man gegen eine Wand. Jeder muss demütig genug sein, sich selber kritisch zu hinterfragen. Nur dann kann eine Dynamik entstehen», so Benaglio. «Die wahren Leader sind da, wenn Gegenwind aufkommt und aus allen Lagen geschossen wird.»
Die Rolle des Trainers
Nicht vergessen hat der langjährige Bundesliga-Professional von Wolfsburg selbstredend, wie sich Ottmar Hitzfeld im Finish seiner grandiosen Trainerkarriere verhielt. Am Morgen nach der grossen Ernüchterung stellte sich der Deutsche den Medienschaffenden und verteidigte seine taumelnde Elf. «Ottmar Hitzfeld besass ein unfassbar gutes Gespür für solche Situationen. Er wusste haargenau, wann er etwas Druck wegnehmen oder aufbauen musste. Er zeigte uns allen mit seinem Auftritt den Pfad vor - er war das benötigte Vorbild.»
Ruhig und souverän – hinter den Hotelpforten wirkte Hitzfeld gleich wie beim Meeting mit der Weltpresse. «Er musste nie schreien, um gehört zu werden. Man wusste immer genau, woran man war. Im Erfolg drängte sich Hitzfeld nie in den Vordergrund. Aber nach schweren Niederlagen bildete er unser Schutzschild. Im Gegenzug erwartete er natürlich eine klare Reaktion unsererseits.»
Die Schweden als Vorbild
Zurück zur Gegenwart. Hitzfeld verfolgt die Spiele als Beobachter, auf Einschätzungen zur Lage der SFV-Auswahl verzichtet der Vorgänger von Vladimir Petkovic explizit. Benaglio betont, er schaue die Spiele «als Fan, nicht als Ex-Spieler». Für das kursweisende Spiel gegen die punktelosen Türken erwartet die frühere Nummer 1 der Schweiz «eine emotionsgeladene Angelegenheit. Die Türkei wird nach zwei sehr unglücklichen Auftritten alles daran setzen, um etwas gutzumachen. Darauf muss die Schweiz vorbereitet sein.»
Mit Blick auf die heikle Aufgabe am Sonntag «benötigt man einen grossen Zusammenhalt und ein unbändiges Wir-Gefühl, für jeden Teamkollegen noch zwei Meter mehr zu laufen. Ohne dieses Zusammenrücken wird das Ganze auseinanderfallen.» In diesem Zusammenhang haben ihn die Schweden beim torlosen Remis gegen Spanien beeindruckt: «Jeder hielt sich an den Plan, jeder sprintete in seine Rolle – jeder bringt sich zu 100 Prozent ein, jeder nimmt seine Aufgabe mit hundertprozentiger Leidenschaft wahr.»