«The Pressure Game»

Nati-Doku-Regisseur: «Würde nicht mit einem Fussballer tauschen wollen»

· Online seit 21.03.2023, 07:03 Uhr
Der Filmemacher Simon Helbling begleitete die Schweizer Fussball-Nati während des letzten Jahres auf Schritt und Tritt und war bei den intimsten Momenten der Mannschaft dabei. Das alles konnte er für die Doku-Serie «The Pressure Game» auf Kamera festhalten. Im Interview mit RADIO BERN1 gibt er einen Einblick in sein Projekt.
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RADIO BERN1: Warum wollten Sie diese Dokumentation machen?

Simon Helbling: Ich hatte nach der letzten EM den Eindruck, dass das eine gute und spannende Mannschaft mit interessanten Leuten ist. Ich habe mich gefragt, was wohl dabei herauskommen würde, wenn man hinter die Kulissen schaut, um herauszufinden, was das eigentlich für Leute sind.

Welche Hürden mussten Sie nehmen, um das überhaupt machen zu können?

Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es da gar keine grossen Hürden gab. Es war wichtig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das hat Zeit gebraucht und das durfte es auch. Anhand der Interviews, die ich geführt habe, habe ich das Gefühl, dass mir das gelungen ist.

Wie offen waren die Spieler dafür, dass jemand von aussen quasi in ihr Nervenzentrum eindringt?

Die Spieler waren erstaunlich offen. Ich habe den Eindruck, dass viele mit Medien und Journalisten negative Erfahrungen gemacht haben und dadurch etwas geprägt sind. Ich habe ihnen dann erklärt, dass ich kein Journalist, sondern ein Erzähler bin und den Luxus habe, Geschichten in einem Kontext zu erzählen. Das hat dazu geführt, dass ich eigentlich bei allen auf grosse Offenheit gestossen bin.

Worauf fokussierten Sie sich bei Ihrer Arbeit?

Mir ging es darum, zu sehen, was beruflich dazugehört, Fussballer zu sein und andererseits, was das für Leute sind. Die Spiele kennen wir ja aus dem Fernsehen. Wir wissen, wie die Schweiz im Achtelfinal ausgeschieden ist. Aber was ist eigentlich hinter der Kulisse abgelaufen? Wie ticken diese Leute? Was interessiert sie? Worunter leiden sie? Wie lauft ihr Alltag ab? Das wollte ich herausfinden.

Sie konnten den Spielern bis in die Kabine folgen. Wie kann man sich das vorstellen?

Wir sind den Spielern wirklich auch physisch nahegekommen. Wir hatten Kameras in den Kabinen und durften die Spieler auch zu Hause besuchen. Ich war während dieses Jahres Teil der Mannschaft, habe die gleiche Kleidung wie der Staff getragen, bin mit ihnen mitgereist und habe mit ihnen gegessen. Für einen Dokumentarfilmer ist es eine absolute Luxussituation, so nah am Subjekt dran zu sein, das man porträtiert.

Was war Ihre grösste Erkenntnis während der Zusammenarbeit mit der Nationalmannschaft?

Von aussen ist das Bild der Fussballer ja oft: Die dürfen etwas Schönes machen, dürfen «tschüttelen» und haben schöne Autos. Mir war überhaupt nicht bewusst, was für ein hartes Leben Fussballer eigentlich haben. Das tönt jetzt etwas blöd – natürlich sind die in einer privilegierten Situation, das kann man nicht wegdiskutieren. Aber wie viel Arbeit dahintersteckt, als Spitzensportler konstant diese Leistung erbringen zu müssen, zum Teil jeden dritten Tag ultimative Leistung abrufen zu müssen und welche Auswirkungen das auf die Familie, das Privatleben und das Mentale hat, ist enorm.

Dann wollen Sie also wohl eher nicht mit einem Fussballer tauschen?

Nein, und abgesehen davon würde es mir am Talent fehlen. Es gibt schon Ähnlichkeiten zwischen dem Leben eines Filmemachers und dem eines Fussballers und was man opfert, um das machen zu können. Aber ich würde mein Leben unter keinen Umständen mit dem eines Fussballers tauschen wollen.

Was war das jeweils für eine Situation in der Kabine nach den Spielen?

Mich hat etwas erstaunt, auf welch hohem Level die Professionalität der Spieler ist. Wenn es in der Nations League mal eine Niederlage gegeben hat, ist das in der Kabine relativ schnell abgeschüttelt worden. Das sind sehr kompetitive Menschen und die verlieren wirklich nicht gern, aber da geht der Fokus direkt auf das nächste Spiel. Nach dem Achtelfinal war die Stimmung in der Kabine aber wirklich sehr heftig. Kein Mensch hat mehr ein Wort gesagt, man hätte eine Nadel auf den Boden fallen hören können.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Es ist etwas speziell in so einer Situation. Man leidet mit, wenn so etwas passiert, weil man diese Menschen ja kennengelernt hat und ihnen nur Gutes wünscht. Auf der anderen Seite weiss man auch, dass man da jetzt voll mit der Kamera draufhalten muss.

Das ging wohl nur wegen diesem besonderen Vertrauensverhältnis, oder?

Ja, Sämi, der Kameramann, hat das gut gemacht und konnte abschätzen, wann er sich zurückziehen muss und wann er reingehen kann. Bei so einem Setting wie nach dem Achtelfinal, wo wir schon viel Zeit miteinander verbracht hatten, ist das zum Glück gut gegangen. Es ist aber immer ein schmaler Grat zwischen dem Einfangen eines Moments mit der Kamera und dem Wissen: Jetzt habe ich hier nichts mehr zu suchen.

Wie hat sich Ihre Gefühlslage vom Anfang bis zum Ende des Projekts verändert?

Der Start eines solchen Projekts ist mit erstaunlich wenig Nervosität verbunden. Es ist natürlich aufregend, diese Leute in Person zu sehen, aber nichtsdestotrotz ist man mit dem Arbeitsfokus, den man hat, nicht mal so fest «starstruck». Wenn ich zurückdenke, was ich alles erlebt habe und mit wem ich Zeit verbracht habe, ist das völlig verrückt. Am Anfang wusste ich, dass ich darauf Acht geben muss, wie ich mit den Leuten rede und mit ihnen umgehe, damit man dieses Vertrauensverhältnis aufbauen konnte. Am Schluss, nach so einem intensiven Jahr, so vielen Erlebnissen, Ups und Downs, Siegen und Niederlagen, der Qualifikation und danach dem Ausscheiden im Achtelfinal und allem dazwischen, war es schon ein bittersüsses Gefühl, am Ende dieser Reise zu sein. Ich bin zwar auch froh, dass dieses grosse Projekt mal einen Endpunkt hat, aber es war natürlich auch sehr erfüllend, so zu arbeiten.

Wieso soll eine Person, die nichts mit Fussball am Hut hat, Ihre Dokumentation schauen?

Ich habe es tatsächlich auf die Leute ausgerichtet, die nicht bis auf die Knochen Fussballfans sind. Für alle YB-Fans beispielsweise ist es natürlich spannend, zu sehen, was Christian Fassnacht mit der Nati erleben durfte, aber ich glaube, dass zum Beispiel auch die Grossmutter, die nicht so fussballinteressiert ist, hier in erster Linie Geschichten von Menschen erleben darf.

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veröffentlicht: 21. März 2023 07:03
aktualisiert: 21. März 2023 07:03
Quelle: BärnToday

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