Auch die Türken erhofften sich (wie die Schweizer) von der Europameisterschaft so viel. Sie galten als Wundertüte und Geheimfavorit. Die türkische Nationalmannschaft, so die Hoffnung in der Heimat, sei besser als jene Teams, die es 2002 an der WM in Südkorea und Japan und 2008 an der EM in der Schweiz jeweils in die Halbfinals schafften.
Die Euphorie wich nun der Ernüchterung. «Der Schock des 0:3 gegen Italien wirkte gegen Wales nach», konstatierte Nationalcoach Senol Günes. «Nach dem überraschenden ersten Gegentor gegen Wales verloren wir den Faden. Als wir in der zweiten Halbzeit darüber nachdachten, wie wir noch gewinnen können, liefen wir ins Verderben.»
Die Tageszeitung «Hürriyet» kritisiert die türkischen Auftritte scharf: «Wir sind die schlechteste Mannschaft des Turniers, was die Organisation auf dem Platz angeht.»
«Nicht so gut, wie erhofft»
Und der Nationalcoach verliert an Ansehen. Der 69-jährige Senol Günes wurde vor dem Turnier fast vergöttert. Mit Günes als Coach erreichte die Türkei 2002 die WM-Halbfinals. Vor etwas mehr als zwei Jahren kehrte er im Pensionsalter als Nationalcoach zurück. Seither verlor die Türkei bis zur EM nur 3 von 26 Länderspielen und nie zweimal hintereinander. Gegen Frankreich spielte die Türkei in der EM-Qualifikation 1:1 (a) und 2:0 (h). Holland wurde vor drei Monaten in der WM-Qualifikation 4:2 besiegt.
Mit dem 0:3 gegen Italien und einem 0:2 gegen Wales rechnete niemand. «Wir müssen traurig feststellen, dass wir noch nicht so gut sind, wie wir erhofft hatten», so Günes. «Wir träumten davon, in dieser Gruppe weiterzukommen. Jetzt sieht es nicht mehr gut aus. Wir müssen nach vorne schauen und um unsere letzte, kleine Chance kämpfen.»
Entschuldigung
Die Türkei kann sich mit einem Sieg über die Schweiz immer noch den dritten Platz in der Gruppe A sichern. Aber kann das noch reichen für die Achtelfinals? Vor fünf Jahren schied die Türkei mit 3 Punkten und einer negativen Tordifferenz (-2) nach der Gruppenphase aus. Nordirland kam damals mit drei Zählern und einer ausgeglichenen Tordifferenz gerade noch weiter.
«Wir müssen jetzt alles vergessen, was war. Wir müssen den Kopf freibekommen», sagt Günes. «Wir erhofften uns eine bessere Ausgangslage für das letzte Spiel. Aber es ist, wie es ist. Die Resultate liegen in meiner Verantwortung.»
In der Kritik steht in der Heimat primär die Abwehrarbeit. Während der EM-Qualifikation (10 Spiele) kassierte die Türkei bloss drei Gegentore, so wenige wie kein anderes Team. In den 15 Länderspielen des letzten Jahres liessen die Türken aber viermal drei und fünfmal zwei Gegentore zu. «Wir müssen uns entschuldigen», meint Verteidiger Umut Meras. «Wir wollten gegen Wales um jeden Preis gewinnen. Dann aber hat nichts geklappt. Wir warfen das System und alle Vorsätze über Bord. Jetzt müssen wir alles daran setzen, um wenigstens noch die Schweiz zu schlagen.»