Begonnen hat das Projektteam, das am Donnerstag im Rahmen einer via Livestream übertragenen Medienkonferenz Fragen beantwortete, Ende 2019 mit einer Feldstudie. Mit einem Lastwagen, der als Atelier ausgestattet war, besuchten sie Gemeinden diesseits und jenseits der Grenze. Die dort lebenden Menschen konnten Modelle davon gestalten, wie sie sich imaginäre oder reale Grenzorte vorstellten. Das wiederum wurde filmisch dokumentiert.
Und dann kam Corona. Die Pandemie hat die Vorstellungen und Wahrnehmungen der Grenzen verändert - und dem Projekt eine völlig neue Relevanz verliehen. Vor diesem Hintergrund hat das Projektteam die Grenzregionen ein weiteres Mal besucht. Die Menschen, die an den Grenzen leben, konnten diesmal in einem Schreibatelier ihre veränderte Sicht der Dinge schildern; zudem gab es Gespräche über die neuen Erfahrungen.
Die Ausstellung im Schweizer Pavillon hat Pro Helvetia einem Westschweizer Team von Architektur- und Kunstschaffenden anvertraut, wie bereits zu Projektbeginn kommuniziert wurde. Dazu gehören der Filmemacher Fabrice Aragno in Lausanne, die beiden Mitglieder des Laboratoire d'architecture in Genf, Architekt Mounir Ayoub sowie Architektin und Landschaftsarchitektin Vanessa Lacaille als auch der Genfer Bildhauer Pierre Szczepski. Das Laboratoire d’architecture beschäftigt sich mit Architektur- und Landschaftsexperimenten.
Peripherie rückt ins Zentrum
Unter dem Titel «Orae - Experiences on the Border» (orae: lat. Grenze) wird eine Auswahl des gesammelten Materials zu sehen sein. Die komplexen, sozialen und kulturellen Strukturen an den Grenzen sollen sichtbar gemacht werden. «Wertfrei», wie Mounir Ayoub betonte. «Es geht nicht darum zu sagen, ob Grenzen gut oder schlecht sind.» Zentral sind die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Menschen von Grenzen.
Zudem soll sichtbar werden, wie simple Messgrössen durch Beziehungen ersetzt werden, wie Gefühle und Orte in Verbindung treten, ein neuartiges Raumverständnis möglich werde. «Eine andere Landkarte entsteht», so das Projektteam.
Projekt wirft Fragen auf
Das Projekt sei aus unterschiedlichen Gründen ausgewählt worden, sagte Madeleine Schuppli, Abteilungsleiterin Visuelle Künste bei Pro Helvetia, an der Medienkonferenz in Venedig. Zum einen habe das Thema überzeugt, «weil es darüber so viel zu erzählen gibt» und sich das Projektteam für eine spannende Herangehensweise entschieden habe. Ausserdem sei die Idee «politisch wie soziologisch aber auch poetisch und künstlerisch», so Schuppli. Und deren Umsetzung werfe schwierige aber wichtige Fragen auf.
Die 17. Internationale Architekturausstellung La Biennale di Venezia wird bis am 21. November dauern, nachdem sie eigentlich bereits für das letzte Jahr geplant war. Sie findet alle zwei Jahre statt, jeweils im Wechsel mit der Kunst-Biennale.
Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die für den Schweizer Pavillon zuständig ist, rechnet mit einem Gesamtbudget inklusive Begleitanlass und Publikation von 650'000 Franken; hinzu kommen Beiträge von Sponsoren.