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«Makaber und brutal»: Deshalb zieht uns True Crime in den Bann

· Online seit 20.10.2022, 19:48 Uhr
Wahres Verbrechen ist faszinierend. Das zeigen einmal mehr die Zahlen der neuen Netflix-Serie «Dahmer». Menschen sind soziale Wesen, wollen Emotionen erleben und etwas lernen: Deshalb ist True Crime ein Dauerbrenner.
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Mit über 820 Millionen gestreamten Stunden gehört die True-Crime-Thrillerserie «Dahmer – Monster: Die Geschichte» bereits jetzt zu den drei meist geschauten Netflix-Serien überhaupt. Die Serie erzählt von den Taten Jeffrey Dahmers, einem der grausamsten Serienmörder des 20. Jahrhunderts, der zwischen 1978 und 1991 in den USA mindestens 17 junge Männer ermordete.

Aber was fasziniert an solchen wahren Verbrechen so sehr? Franziska Oehmer-Pedrazzi, Dozentin für Kommunikationswissenschaft an der Fachhochschule Graubünden, gibt Antworten.

Warum fasziniert uns True Crime?

Alles, was negativ, ungewöhnlich, makaber und brutal ist, bindet unsere Aufmerksamkeit. Vor allem, wenn es sich um wahre Begebenheiten handelt. Dafür gibt es drei Gründe: Wir sind soziale Wesen und interessieren uns dafür, was andere Menschen machen. Besonders, wenn es etwas Böses ist. 

Ausserdem wecken Mord und Verbrechen Emotionen. Zuerst Angst und Verunsicherung, und am Ende Erleichterung, wenn die Täterin oder der Täter gefunden und bestraft wurde. Schliesslich wollen wir uns auch informieren. Wir wollen wissen, wie man eben nicht Opfer solcher Verbrechen wird.

Welche Fälle interessieren besonders?

Da gibt es verschiedene Komponenten. Fälle mit viel Gewalt, also Mord und Totschlag, Sexualdelikte und Serienmorde sind beliebt. So auch Fälle, in denen man sich besonders mit den Protagonisten identifizieren kann. Prominente Fälle oder Fälle mit gutaussehenden Menschen stossen auf Interesse. Und sobald Kinder involviert sind, erhält ein Fall oft grosse mediale Aufmerksamkeit.

Warum fühlen sich so viele Frauen von True-Crime-Formaten angezogen?

Grundsätzlich sind alle in irgendeiner Form an wahren Verbrechen interessiert. Frauen fühlen sich besonders davon angesprochen, weil überproportional mehr Frauen Opfer solcher Verbrechen werden. So können sie sich besser mit den Geschehnissen identifizieren.

Manchmal baut man Sympathien mit der Täterin oder dem Täter auf. Wieso passiert das?

Weil wir uns für das Leben anderer interessieren, entwickeln wir auch Empathie. Gerade neuere True-Crime-Formate geben viel Hintergrundwissen über die Täterin oder den Täter mit. Mit diesen Informationen können wir teilweise verstehen, warum eine Person zur Gewalttäterin oder zum Gewalttäter wird.

Was sind die Gefahren, wenn man Täterinnen und Täter so in den Fokus setzt?

Verbrecherinnen und Verbrecher erhalten eine gewisse Prominenz. Das kann dazu führen, dass narzisstische, zu Gewalt neigende Personen sich dazu hingezogen fühlen und auch eine solche Berühmtheit erhalten wollen.

Personen, die viele gewalthaltige Inhalte konsumieren, nehmen auch die Realität als deutlich krimineller wahr. Somit haben sie mehr Angst und gehen eher davon aus, auch selbst Opfer eines Verbrechens zu werden.

In welcher Verantwortung stehen Filmschaffende?

Oft wird zu wenig beleuchtet, was das Verbrechen für die Opfer und die Familien der Opfer bedeutet. Betroffene erleben das Verbrechen durch die Medien nochmals. Filmschaffende müssen deshalb besonders sorgfältig mit den Bedürfnissen und Emotionen derer umgehen.

True Crime als Podcast beim Abendspaziergang, aber einen Horrorfilm würde man nicht einmal mittags schauen. Warum haben wir oft mehr Angst vor unrealistischen Werken?

Das liegt ganz stark an der Machart. Horrorfilme funktionieren mit Inszenierungsmitteln wie furchterregender Musik und düsteren Bildern. True-Crime-Formate fühlen sich viel mehr dazu verpflichtet, die wahren Begebenheiten zu zeigen und sind deshalb häufig eher dokumentarisch aufgebaut. Deshalb fürchten wir uns oft mehr vor Horrorfilmen, obwohl True Crime eigentlich viel gruseliger wäre.

veröffentlicht: 20. Oktober 2022 19:48
aktualisiert: 20. Oktober 2022 19:48
Quelle: FM1Today

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