Xavier Naidoo

Mein Teenie-Idol, der Rechtsextremist

Noëmi Laux, 9. Oktober 2021, 23:47 Uhr
Xavier Naidoo wird heute 50. Vor 20 Jahren setzte sich der Sänger gegen Rassismus und Fremdenhass ein. Heute steht er auf der Bühne mit jenen, die er damals verabscheut hat: Nazis. Eine Geschichte von Alberto Adriano und Xavier Naidoo.
Xavier Naidoo: Sein steiler Aufstieg und der verstörende Absturz.
© Getty
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Du hörst einen Song und kennst noch immer jede Zeile auswendig, selbst wenn du das Lied seit Jahren nicht mehr gehört hast. Kennst du das? Oder diese Songs, die irgendwie deine Jugend geprägt haben – sei dies politisch, emotional oder einfach so.

Mir geht es mit einigen Songs von Xavier Naidoo so. Dass in meinem Kinderzimmer ein Naidoo-Poster über dem Bett hing und ich nahezu jeden seiner Songtexte auswendig kann, das behalte ich heute lieber für mich. Denn von dem Naidoo, den ich als Teenager toll fand, der sich gegen Rassismus stark gemacht hat, ist nicht mehr viel übrig. Heute, 20 Jahre später, hört man den Namen Xavier Naidoo vor allem im Zusammenhang mit kruden Verschwörungstheorien, Reichsideologien und Coronaverschwörungen.

Diesen Samstag ist Xavier Kurt Naidoo, wie er mit ganzem Namen heisst, 50 geworden. Seine Musik höre ich schon lange nicht mehr. Die Frage aber, was mit dem Naidoo, den ich als Teenie mal bewundert habe, passiert ist, bleibt.

Xavier Naidoo: Ausländerkind, Soulstar

Xavier Naidoo galt einst als einer der erfolgreichsten deutschen Popstars. Er brachte sieben Nummer-eins-Soloalben raus, hatte Riesenerfolg mit der Show «The Voice of Germany» oder als Teil der «Söhne Mannheims». Er gewann zig Echos, Goldene Kameras und Stimmgabeln. 2001 gründete er zusammen mit anderen Deutschrap-Grössen wie Samy Deluxe, Afrob oder Torch die «Brothers Keepers», ein Zusammenschluss afro-deutscher Musiker, die ein Statement gegen rassistische Gewalt gesetzt haben. Als Reaktion auf die Ermordung von Alberto Adriano, der ein Jahr zuvor in einem Park von drei Neonazis zu Tode geprügelt wurde, entsteht 2001 der Song «Adriano (Letzte Warnung)». Und den Refrain singt Naidoo:

«Dies ist so was wie eine letzte Warnung, denn unser Rückschlag ist längst in Planung. Wir fall’n dort ein, wo ihr auffallt, gebieten eurer braunen Scheisse endlich Aufhalt.»

Der Song ist mehr als 20 Jahre alt, die Thematik noch genauso aktuell. Rassismus gehört nicht der Vergangenheit an. Eigentlich ist alles geblieben, wie es war. Alles, bis auf etwas, genauer jemanden: Der Mann, der den Refrain gesungen hat. Xavier Naidoo, Ausländerkind, Soulstar. 2020 distanziert sich Naidoo in einem Interview mit dem rechtspopulistischen Magazin «Compact» von seinem damaligen Ich, stellt seine Mitwirkung im Song «Adriano» in Frage.

Auf der Bühne mit Nazis

Naidoos rechte Gesinnung sickerte aber schon Jahre zuvor immer wieder durch: 2010 will er Bundespräsident Horst Köhler wegen angeblichen Hochverrats anzeigen. Zwei Jahre später singt er zusammen mit Rapper Kool Savas auf einem versteckten Album-Track über Ritualmorde an Kindern und wirft dabei Homosexualität und Kindesmissbrauch in einen Topf. 2014 spricht Naidoo an einer Demo der «Reichsbürger», eine ultrarechte Bewegung, die glaubt, Deutschland sei kein realer Staat.

Und heute? Heute macht Naidoo immer noch Musik. Sein jüngstes Projekt heisst «Die Konferenz»: Im Mai 2021 erscheinen unter diesem Projektnamen eine Reihe Lieder, in denen Naidoo zusammen mit Musikern und Aktivisten aus dem rechten und ultrarechten Spektrum Verschwörungstheorien zur COVID-19-Pandemie verbreitet als auch zum bewaffneten Kampf gegen den vermeintlichen „Deep State“ aufruft. Jetzt steht Xavier Naidoo also mit jenen Menschen auf der Bühne, deren politische Gesinnung er vor 20 Jahren tief abgelehnt und bekämpft hat: Nazis.

Am Ende bleiben viele Fragen offen. Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem warum? Hat sich Naidoo mit den Jahren radikalisiert oder bloss seine Zurückhaltung verloren? Fassungslos und irgendwie ratlos macht mich aber vor allem ein Gedanke: Lieder, die mir in meiner Jugend Mut gegeben haben, die Welt, unsere Gesellschaft zu hinterfragen, werden heute an Nazi-Demos gespielt.

Quelle: ArgoviaToday
veröffentlicht: 2. Oktober 2021 17:07
aktualisiert: 9. Oktober 2021 23:47