Walter Zoo

Nemo ist unrealistisch – genderwechselnde Tiere und ihre Eigenheiten

· Online seit 02.01.2023, 06:01 Uhr
In der Tierwelt ist noch viel unerforscht. So fand man vor Kurzem erst einen Fisch, der das Geschlecht wechseln kann. Doch dieser Fisch ist kein Einzelfall. Im Interview klärt Fabian Klimmek, Kurator im Walter Zoo, über das Geschlechtwechseln bei Tieren auf.
Yasmin Stamm

Quelle: FM1Today/Sven Lenzi

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Die Tierwelt ist riesig, vielfältig und zu einem grossen Teil noch unerforscht. Rund 86 Prozent der Landlebewesen und 91 Prozent der Wasserbewohner sind laut «Plos Biology» noch unentdeckt. Doch vor Kurzem erforschte man vor den Küsten der Malediven einen neuen Fisch, welcher weiblich geboren wird und mit dem Alter männlich wird.

Doch dieser Fisch ist keine Ausnahme. Geschlechtsneutralität oder auch die Eigenschaft, das Geschlecht zu wechseln, ist zwar eine Seltenheit, doch kommt trotzdem ab und zu vor. Fabian Klimmek, Kurator beim Walter Zoo, kann das Phänomen genauer erklären. 

Wie oft kommt es in der Natur vor, dass Tiere ihr Geschlecht wechseln können?

Fabian Klimmek: Dass Tiere das Geschlecht wechseln können, ist sehr sehr selten. Es kommt häufiger vor, dass es entweder zwei normal ausgeprägte Geschlechter gibt (männlich und weiblich), oder dass sie beide Geschlechter gleichzeitig in sich vereinen, sogenannte Simultanzwitter.

Wie viele Tierarten können es denn ungefähr?

Man geht von ein paar Hundert bekannten Arten aus. Das klingt zwar nach viel, doch wenn man das auf die gesamte Tierartenzahl des Planeten auslegt, welche geschätzt fünf bis 20 Billionen beträgt, dann ist das ein verschwindend kleiner Anteil.

Bei welchen Arten kommt das vor allem vor?

Wir kennen es grösstenteils von Fischen, es gibt aber auch Muscheln und Bandwürmer, welche das Geschlecht wechseln können. Die Gründe dazu sind aber noch recht unbekannt.

Bei Fischen hat man herausgefunden, dass es vor allem vorkommt, wenn ein Geschlecht einen grossen Vorteil daraus zieht, wenn es eine grössere Körpergrösse hat. Das heisst, wenn zum Beispiel ein Männchen besonders gross sein sollte, um das Revier zu verteidigen oder ein Weibchen besonders gross sein sollte, um viele gesunde Eier zu produzieren.

Warum kommt das vor allem bei diesen Tieren vor?

Wie schon gesagt, ist das Ganze noch relativ unerforscht. Es gibt aber schon Ansätze. Man nimmt an, dass es in der Genetik dieser Arten schon mal keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern geben darf, damit das Wechseln des Geschlechts überhaupt möglich ist. Also nicht so wie beim Menschen, wo es ein XX- und ein XY- Chromosom gibt, welche einen grundlegenden Unterschied der Geschlechter vorgeben.

Dann gibt es noch diverse andere Mechanismen wie zum Beispiel Stress, welcher unterdrückt, dass ein gewisses Geschlecht ausgebildet werden kann oder eine starke Geschlechterverteilung in einer Population. Also wenn es zum Beispiel extrem viele Männchen auf sehr wenig Weibchen gibt, dann kann es für manche Männchen durchaus eine Option sein, sich in ein Weibchen zu wandeln, damit sie sich besser fortpflanzen können.

Wenn man im Internet nach Geschlechter bei Tieren sucht, dann stösst man schnell auf den sogenannten Gynandromorphismus. Was bedeutet das?

Gynandromorphismus ist etwas sehr Lustiges, was in der Tierwelt vorkommt. Es ist ein Defekt, bei welchem ein Tier männliche wie auch weibliche Zellen in sich vereint. Dieser Defekt passiert in der frühen Zellenentwicklung und wenn es wirklich ganz ganz früh passiert, dann entstehen sogenannte Halbseiten-Gynander. Diese sind auf der einen Körperseite männlich und auf der anderen dann weiblich. Diese haben zwar beide Geschlechter ausgebildet, sind aber meistens steril. Das heisst sie haben zwar beides, aber beides funktioniert nicht richtig.

Bei welchen Tieren kommt denn Gynandromorphismus vor?

Man kennt es vor allem von Insekten und auch von Vögeln, welche diesen Defekt haben können. Bei Menschen ist es genetisch unmöglich, dass das vorkommen kann. Bei Vögeln und Insekten funktioniert die Geschlechtsfestlegung der Zellen etwas anders, aber trotzdem kommt es da auch sehr selten vor.

Welche Vorteile bringen Gynandromorphismus oder die Fähigkeit, das Geschlecht zu wechseln?

Gynandromorphismus bringt einem Tier gar keine Vorteile. Das oberste Ziel eines Organismus ist es, sich fortzupflanzen und wenn ein Tier steril ist, kann es sich ja nicht paaren.

Allerdings die Fähigkeit, das Geschlecht zu wechseln, bringt, wie vorhin schon erklärt, einige Vorteile, wenn zum Beispiel eben zu viele Männchen oder Weibchen existieren. Auch das Vereinen beider Geschlechter in einem Körper, also eben Zwitter, bringt einige Vorteile.

Und welche?

Zum Beispiel bei den bekanntesten Zwitter: Schnecken. Diese sind sehr langsam unterwegs und es passiert nicht so oft, dass sie wirklich auf andere Schnecken stossen. Wenn sich aber dann mal zwei finden, dann ist es vorteilhaft, wenn es auch ein fortpflanzungsfähiges Pärchen ist. Sind es zwei Zwitter, dann ist dies gegeben.

Bei Fischen gibt es ein lustiges Beispiel bezüglich des Geschlechtswechselns. Nämlich der Film «Nemo». Bei Clownfischen ist jeder Fisch, der schlüpft, erst mal ein Männchen. Das grösste Tier in einer Gruppe ist immer das Weibchen, das zweitgrösste ist das Männchen, das sich mit dem Weibchen paaren darf.

Nachdem die Mutter von Nemo stirbt, würde sich, wenn der Film der Natur entsprechen würde, der Vater von Nemo als grösstes Männchen zum Weibchen entwickeln, damit sich das nächst grössere Männchen mit ihm paaren kann. Da Nemo der einzige männliche Clownfisch in der Umgebung ist, würde diese Rolle dann eigentlich ihm zufallen. So würde die Population nicht aussterben und sie könnten direkt neue Eier legen und ausbrüten.

Das heisst, der Film ist überhaupt nicht natürlich.

Nun, wer hätte das Gedacht, bei einem Film, in dem sprechende Fische Schildkröten reiten und auf Quallen springen.

veröffentlicht: 2. Januar 2023 06:01
aktualisiert: 2. Januar 2023 06:01
Quelle: FM1Today

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