Warum finde ich mein Spiegelbild besser als Fotos?
Laut dem Psychologen Thomas Spielmann gibt es eine einfache Erklärung: Der Mere-Exposure-Effekt. Je öfter wir etwas sehen, desto besser gefällt es uns und unser Spiegelbild sehen wir ja meistens mehrmals täglich. «Je vertrauter mir etwas ist, je vertrauter mir mein eigenes Spiegelbild ist, desto sicherer fühle ich mich. Meistens kommt dann auch noch ein Wohlbefinden dazu. Es macht mir Spass mein eigenes Spiegelbild zu betrachten.» Der Mere-Exposure-Effekt führt meist zu einem idealen, makellosen Spiegelbild, weil man sich an die eigenen Makel gewöhnt hat und sie nicht mehr gewichtet.
Dementsprechend gross ist die Enttäuschung, wenn man sich auf einem Foto sieht. Auf Fotos sehen wir uns meistens gefühlt verkehrt herum. Aber eigentlich sehen wir uns da so, wie wir tatsächlich aussehen, also wie uns auch andere sehen. Ausserdem sind Fotos nur eine ganz kurze und unbewegliche Momentaufnahme. Da stechen uns ungeliebte Details viel eher ins Auge, weil wir uns darauf viel mehr konzentrieren können. Im Spiegel sehen wir uns ja immer ein bisschen in Bewegung – quasi in 3D. Da können wir uns – bewusst oder unbewusst – auch eher so hindrehen, wie wir es gut finden.
Wie bekomme ich ein realistisches Selbstbild?
Die Lösung ist ebenfalls der Mere-Exposure-Effekt. Dieser funktioniert nämlich auch bei Bildern. Je mehr Bilder du von dir selbst anschaust – also so, wie dich auch andere sehen – desto mehr gewöhnst du dich an dein echtes Aussehen und findest Gefallen daran. Dies bestätigt auch Thomas Spielmann: «Wenn ich oft Fotos von mir anschaue, mich darin erkenne und das Bild sich mit Leben und Emotionen füllt, dann finde ich das Foto schön und automatisch auch mich selbst.»
Wie komme ich zu einem schönen Spiegelbild?
Damit der Mere-Exposure-Effekt zum Tragen kommen kann, muss man sich im Spiegel überhaupt betrachten können. Es gibt durchaus Personen, welche sich selten im Spiegel anschauen, weil sie sich nicht schön finden. «Das sind Menschen, die sehr wenig Selbstvertrauen haben», so Spielmann. «Die stehen vor dem Spiegel und sehen nur die Makel. Ein Pickel im Gesicht, eine gekrümmte Nase oder ein Doppelkinn. Die bleiben an Äusserlichkeiten hängen.»
Wenn man sich nur auf das Aussehen achte, dann beginne man Fehler zu suchen, so Spielmann. «Wenn ich aber die Persönlichkeit sehe im Spiegel – mit Humor, mit Wissen, mit einer Lebensgeschichte, dann ist es völlig egal, wie ich aussehe, ich finde mich dann okay so.» Wenn man dann eine Routine beginne, sich regelmässig positiv im Spiegel anzuschauen, dann steige das Selbstvertrauen. «Und auch in den Augen von anderen Menschen bin ich dann jemand mit einer Ausstrahlung, ich gehe optimistisch in die Welt hinaus und ich bin jemand, mit dem man gerne beisammen ist.»