Quelle: CH Media Video Unit / Katja Jeggli
Bundespräsident Alain Berset hatte seine Rede vor dem Winterthurer Stadthaus am Mittwochmittag kaum beendet, da stürmte eine Frau auch schon zielstrebig auf Bundesrätin Viola Amherd zu. Um den Walliser Dialekt sei es ihr gegangen, sagte die Frau in blauer Jacke und mit gelbem Rucksack später. Ihre Freundin sei auch Walliserin, und deren zweijähriger Sohn freue sich riesig über jedes neue Wort, das sie im Dialekt lerne. Dies habe sie der Bundesrätin aus dem Wallis mitteilen wollen.
Wichtiger Anlass für Demokratie
Noch bevor sich die Bevölkerung am Apéro mit den Bundesratsmitgliedern austauschen konnte, sprachen der Winterthurer Stadtpräsident Mike Künzle, der aus Winterthur stammende Zürcher Regierungsrat Martin Neukom und Bundespräsident Berset zu den mehreren hundert Personen.
Sie gingen auf die zunehmende Polarisierung ein und auf die Tendenz, sich nur noch unter seinesgleichen auszutauschen. Genau deshalb seien Anlässe dieser Art wichtig in einer Demokratie: Um sich auszutauschen und einander zuzuhören. Neukom nannte das Zuhören ein «Wundermittel» und ein gutes Motto für diesen Tag.
«Nehmen Sie uns ernst»
Zuhören war denn auch für Wirtschaftsminister Guy Parmelin angesagt. Ein sportlicher Mann mittleren Alters warnte ihn vor einem drohenden Energiemangel und unterbrochenen Lieferketten. Der Bundesrat müsse die Reserven aufstocken, sagte er: «Wir erwarten, dass Sie uns ernst nehmen.» Auch Energieminister Albert Rösti führte Diskussionen zu diesem Thema.
Nicht alle Gespräche verliefen dem Vernehmen und der Beobachtung nach so ernsthaft. Etliche Apéro-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer waren vor allem auf Selfies mit den Regierungsmitgliedern aus. Ein jüngerer Mann mit olivgrüner Jacke und Brille posierte gemeinsam mit Rösti und strahlte über das ganze Gesicht. Diese Chance dürfe man sich nicht entgehen lassen, sagte er - und gab dann auf Nachfragen hin zu: Wenn er hätte wählen können, hätte er sich mit Berset abgelichtet.
Sieben Selfies zum Vierzigsten
Um den Bundespräsidenten bildeten sich allerdings stets die grössten Menschentrauben. Eine Frau mit Sonnenbrille gab sich besonders zielstrebig: Sie feierte am Mittwoch ihren 40. Geburtstag und wurde von ihrer Freundin mit der Teilnahme am Apéro überrascht. Schnell war das Ziel klar: Geburtstags-Selfies mit allen Mitgliedern des Bundesrats – angefangen bei Alain Berset. Bis sich die Landesregierung nach rund einer Stunde zum Mittagessen zurückzog, waren alle sieben Selfies auf dem Handy.
Auch Regierungssprecher André Simonazzi wurde in Beschlag genommen. Eine Frau wollte ihm mitgeben, dass sie jeden Tag um Gottes Segen für den Bundesrat bitte und dafür danke, dass er Entscheide für das Wohl der Bevölkerung fälle.
Die Sitzung in Winterthur war bereits die 18. des Bundesrats ausserhalb von Bern. «Extra muros» ist Lateinisch und bedeutet «ausserhalb der Mauern». Der Brauch war im Jahr 2010 eingeführt worden. Damit will die Schweizer Regierung ihre Verbundenheit mit den Regionen zum Ausdruck bringen. Die letzte Sitzung dieser Art hatte den Bundesrat im vergangenen Herbst ins Münstertal geführt.
«Zur richtigen Zeit am richtigen Ort»
Am Morgen vor der ordentlichen Bundesratssitzung in Winterthur hatte Bundespräsident Berset vor den lokalen Medien dargelegt, weshalb er die sechstgrösste Stadt der Schweiz mit ihren über 120'000 Einwohnerinnen und Einwohnern gewählt hatte.
Winterthur sei mit 17 Museen und zahlreichen weiteren Angeboten eine Kunst- und Kulturstadt ersten Ranges. Der Ort passe deshalb sehr gut für die Sitzung «extra muros». Sie passe aber auch, weil Kultur nichts Nebensächliches sei – «kein Luxus, kein Nice-to-have", sondern im Gegenteil: Sie sei wichtig, gerade in anspruchsvollen Zeiten wie der heutigen. «Kultur in all ihren Formen hilft uns immer wieder herauszufinden, wer wir sind und was uns verbindet.» Der Bundesrat sei deshalb in Winterthur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
(sda)
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