Den Behörden zufolge stimmte in den besetzten Gebieten in der Ukraine eine «überwältigende Mehrheit» für einen Anschluss an Russland. Knapp 97 Prozent der Wähler in Cherson hätten für die Annexion gestimmt, berichtet die russische Agentur Ria. In Saporischschja seien es etwa 98 Prozent. Abgestimmt wurde zudem in Donezk und Luhansk, für die Ria keine Zahlen nennt.
Aus Wahllokalen in den besetzten Gebieten selbst gab es zunächst keine Angaben. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren seit vergangenem Freitag auch ukrainische Flüchtlinge in Russland. Damit dürfte noch in dieser Woche eine beispiellose Annexionswelle beginnen.
Einschüchterung und Gewalt
Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten werden. Der britische Geheimdienst berichtet über Einschüchterungsversuche und Gewalt. Zusätzlich will die russische Führung gemäss Einschätzung britischer Geheimdienste mit der erwarteten Annexion ukrainischer Gebiete den Angriffskrieg vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen. Jegliche Ankündigung einer Einverleibung der Gebiete werde der Rechtfertigung von Russlands «spezieller Militäroperation» in der Ukraine dienen und beabsichtige, die patriotische Unterstützung des Konfliktes zu festigen, hiess es am Dienstag in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.
Latest Defence Intelligence update on the situation in Ukraine - 27 September 2022
— Ministry of Defence 🇬🇧 (@DefenceHQ) September 27, 2022
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Wahllokale trotz Beschuss offen
In der Region Luhansk meldeten die Behörden auch am Dienstag Beschuss durch Mehrfachraketenwerfer auf den Ort Altschewsk. Trotzdem seien alle Wahllokale geöffnet, hiess es. Das russische Staatsfernsehen zeigt bereits seit Tagen Menschen in den besetzten Gebieten, die sich glücklich zeigen, bald zu Russland zu gehören. Dagegen kritisieren unabhängige Medien, die Menschen würden unter Druck und vorgehaltenen Gewehrläufen ihre Stimme abgeben. Die Europäische Union plant daher weitere Sanktionen gegen Russland.
Schnelle Annexion ukrainischer Gebiete
In einem nächsten Schritt wird erwartet, dass die von Moskau eingesetzten Besatzungsverwaltungen offiziell bei Kremlchef Wladimir Putin die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass dies schnell geschehen könnte. Putin hatte vor Beginn der Scheinreferenden betont, dass die Gebiete danach komplett unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden.
Der Föderationsrat - das Oberhaus des russischen Parlaments – könnte nach Angaben der Vorsitzenden Valentina Matwijenko am kommenden Dienstag über den Beitritt der besetzten ukrainischen Gebiete zu Russland entscheiden. An dem Tag sei die nächste planmässige Sitzung angesetzt, sagte Matwijenko nach Angaben russischer Agenturen. Es bestehe bisher keine Notwendigkeit, Sondersitzungen anzuberaumen.
Zuvor war in Medien spekuliert worden, Putin könnte schon an diesem Freitag in einer Rede vor beiden Kammern des russischen Parlaments die Annexion der vier Gebiete im Osten und Süden der Ukraine formell bekanntgeben.
Konkrete Pläne für die Gebiete
Einem Zeitungsbericht zufolge hat Russland unterdessen schon konkrete Pläne für die Einverleibung der ukrainischen Gebiete: Geplant sei die Bildung eines neuen föderalen «Krimbezirks», berichtete die russische Zeitung «Wedomosti» unter Berufung auf Quellen im Föderationsrat. Dieser Bezirk solle die bereits 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim sowie die besetzten Teile der Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk umfassen.
Neuer Verwaltungschef solle demnach Dmitri Rogosin werden, der im Juli als Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos abgelöst worden war, hiess es weiter. Schon im Juli hatten Medien spekuliert, der Hardliner und Nationalist könnte einer der Kreml-Kuratoren in den Separatistengebieten Donezk oder Luhansk im Osten der Ukraine werden.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte dazu auf Fragen von Journalisten, wenn Entscheidungen zur Gründung eines neuen föderalen Bezirks getroffen würden, werde der Kreml darüber informieren. «Wir kündigen solche Dekrete des Präsidenten oder Personalentscheidungen nie an», zitierte ihn die Agentur Interfax. Das Rechtssystem und die Exekutive seien aber bereit, nach den Abstimmungen in den Gebieten neue Subjekte in die Föderation aufzunehmen. Juristisch und aus Sicht des internationalen Rechts werde sich die Situation «kardinal» ändern.
(sda/sib)