Es es eine laute und geschäftige Ecke in Berlin-Mitte, selbst am Sonntagnachmittag rumpeln ohne Pause Autos und Strassenbahn vorbei. In einem neutralen Bürogebäude beginnen die Sozialdemokraten ihre Gespräche zunächst mit dem FDP-Verhandlungsteam um Parteichef Christian Lindner. Lindner hatte immer wieder eine Koalition mit der Union als erste Wahl der Liberalen betont, nun wird er Zeuge von deren grundstürzenden Umwälzungen.
Er beginnt den Tag mit einer Mahnung. CDU und CSU müssten klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollten, sagte er in der «Bild am Sonntag». «Manche Wortmeldung der CDU spekuliert ja, dass erst Verhandlungen mit der SPD scheitern sollen, bevor die Union wieder ins Spiel kommt. Das kann man unserem Land nicht zumuten. Wir sind zu ernsthaften Gesprächen mit der Union bereit und erhoffen uns umgekehrt dasselbe.»
Die SPD demonstriert seit Tagen: Hier ist eine Partei mit neu erwachtem Selbstbewusstsein. Und mit einem Plan, wie es laufen könnte: Koalitionsverhandlungen ab Oktober, Erstellung der Koalition bis Dezember - so sagte es Parteichef Norbert Walter-Borjans in der «Welt am Sonntag».
FDP und Grüne hatten in den Tagen nach der Wahl schon geredet. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte bereits zum Wochenstart die Parole ausgegeben, dass das ok sei. Das Zauberwort, das Scholz, Mützenich und Co für die Sondierungen ausgegeben haben: «Auf Augenhöhe» soll geredet werden. Scholz hofft sogar bereits auf eine besonders lange Dauer der gewünschten Regierung: Sie solle so gut sein, «dass sie auch wiedergewählt wird» - auch davon spricht der neue starke Mann der SPD schon seit Montag nach der Wahl.
«Fortschritt» und «Aufbruch» schälen sich als die Leitbegriffe heraus. Sie sind dehnbar. Am konkretesten bisher: Noch ist das Digitalnetz oft lahm und noch sind die Verfahren zäh, die es bis zur Genehmigung von Stromtrassen braucht - beides zu ändern, könnte ein sichtbares Fortschrittsprojekt aller drei Koalitionspartner sein, wenn es nach Scholz geht. «Wir alle wollen der Entwicklung nicht hinterherlaufen», sagte er dem «Spiegel».
Für die Grünen war die SPD im Wahlkampf stets der erklärte Wunschpartner. Die Partei will ihr Kernthema Klimaschutz mit Sozialpolitik verbinden und so auch dem Eindruck entgegentreten, Ökologie sei nur etwas für jene, die sich das leisten können. Schon deshalb haben die Überschneidungen mit den Sozialdemokraten in sozialen Fragen ein gewisses Gewicht.
Doch auch, wenn eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP die Lieblingsoption vieler Grüner ist: Eine so genannte Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und FDP absagen wollen sie auch nicht. Schon aus Verhandlungstaktik: Die Grünen würden ihre Position entscheidend schwächen, wenn sie eins von zwei möglichen Bündnissen ausschliessen würden.
Am Abend dann Gespräche der FDP mit der Union. Für Armin Laschet geht es bei den Sondierungen mit FDP und am Dienstag auch mit den Grünen um alles. Kann die Union mit dem ungeliebten Kanzlerkandidaten und CDU-Chef den Eindruck von Geschlossenheit hinterlassen, den FDP und Grüne fordern? Zuletzt sah es eher so aus, als bekomme Laschet die eigenen Reihen nach dem historischen Wahldesaster kaum mehr geschlossen. Von Zerfallserscheinungen ist bei manchen in der CDU die Rede.
Markus Söder habe den Eindruck von Geschlossenheit nicht aufkommen lassen, kritisieren wichtige CDU-ler. Andere vermuten, der CSU-Chef wolle Jamaika-Verhandlungen schon im Vorfeld torpedieren, damit Laschet am Ende nicht doch noch Kanzler werde. Oder will Söder am Ende doch noch selbst über Jamaika verhandeln, falls Laschet von sich aus demnächst die Reissleine zieht? Von einer für die Union selbstzerstörerischen Privatfehde zwischen beiden ist in der CDU schon die Rede. Söder («Kandidat der Herzen») habe nicht verwunden, Laschet im Machtkampf um die K-Frage unterlegen zu sein. Der bayerische Ministerpräsident hat zudem schon die Landtagswahl 2023 fest im Blick - da muss er liefern.