Dort will er am Mittwoch mit der Staatsführung über die Bedrohung durch den militärisch überlegenen Nachbarn Russland beraten, bevor es zu diplomatischen Spitzentreffen nach Berlin und Genf geht. Zugleich schaut die US-Regierung mit Sorge auf einen russischen Verbündeten, denn am Wochenende habe Russland Soldaten nach Belarus verlegt, hiess es aus dem Aussenministerium in Washington.
Das Weisse Haus hatte zuletzt mit deutlichen Worten vor einem möglichen Einmarsch Russlands in der Ukraine gewarnt. «Um es klar zu sagen, wir halten die Situation für extrem gefährlich. Wir befinden uns jetzt in einer Phase, in der Russland jederzeit einen Angriff auf die Ukraine starten könnte», sagte Präsidentensprecherin Jen Psaki am Dienstag in Washington. Blinken hat der Ukraine weitere militärische Unterstützung in Aussicht gestellt und will in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj sowie Aussenminister Dmytro Kuleba zusammenkommen.
«Sollte Russland in den kommenden Wochen weiter in die Ukraine eindringen, werden wir den Ukrainern zusätzliches Verteidigungsmaterial zur Verfügung stellen, das über das hinausgeht, was wir bereits bereitstellen», hiess es aus dem US-Aussenministerium. Angesichts der russischen Truppenverlegung nach Belarus erging zudem eine Warnung an Moskau und Minsk: Eine «Komplizenschaft» des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko bei einem solchen Angriff wäre «völlig inakzeptabel».
Der Zeitpunkt für die Verlegung von Soldaten in das Nachbarland der Ukraine sei bemerkenswert und lasse fürchten, dass Russland beabsichtigen könnte, die Ukraine von Norden her anzugreifen, sagte eine ranghohe US-Regierungsvertreterin. Was für Truppen oder Waffen nach Belarus verlegt worden sein sollen, liess sie offen.
Das belarussische Verteidigungsministerium hatte für Februar ein gemeinsames Manöver mit Russland angekündigt und veröffentlichte nun Fotos, die russische Panzer und Militärlastwagen auf Eisenbahnwaggons zeigen. «Dies ist weder eine Übung noch eine normale Truppenbewegung», hiess es dazu aus dem US-Aussenministerium. Es handele sich vielmehr um «eine Machtdemonstration», die darauf abziele, eine Krise auszulösen oder einen falschen Vorwand für einen Einmarsch Russlands in die Ukraine zu schaffen.
Die US-Regierung betonte erneut, dass Diplomatie der einzige Weg aus der Krise sei. Tatsächlich ist Blinkens Besuch in Kiew nur das erste von mehreren Krisentreffen in Europa. Am Donnerstag will er sich in Berlin mit Bundesaussenministerin Annalena Baerbock austauschen, am Freitag steht ein Treffen mit Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow in Genf an. «Russland hat zwei Möglichkeiten: Diplomatie und Deeskalation oder Eskalation und massive Konsequenzen», verlautete vorab aus dem US-Aussenministerium.
Deutschland sei dabei ein «hervorragender Partner», hiess es weiter aus Washington. Beide Verbündete seien völlig einer Meinung, dass bei jeder weiteren militärischen Aggression in der Ukraine seitens Russlands Massnahmen notwendig seien, die bisher noch nicht in Betracht gezogen worden seien.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Russland am Dienstag zur Reduzierung seiner Truppen an der Grenze zur Ukraine aufgefordert und erneut mit «hohen Kosten» für den Fall eines Einmarschs gewarnt. Auf die Frage, ob es bei einer Invasion auch Konsequenzen für die Gaspipeline Nord Stream 2 geben werde, antwortete Scholz (SPD), «dass alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt».
Verhandlungen zwischen den USA und Russland im Nato-Russland-Rat sowie im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der vergangenen Woche waren weitgehend ergebnislos geblieben. Baerbock traf daraufhin am Montag in Kiew mit Präsident Selenskyj und ihrem Amtskollegen Kuleba zusammen, bevor sie Lawrow tags darauf zu ihrem Antrittsbesuch in Moskau empfing. Im Beisein Lawrows warb Baerbock für eine rasche Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sprach sich für Härte statt Dialogbereitschaft gegenüber Russland aus. «Mit den Russen über ihr unsägliches Verhalten zu sprechen, ist ein Entgegenkommen», sagte die FDP-Politikerin der «Berliner Zeitung» (Mittwoch). «Eine Narretei, da legt jemand Feuer, und wir müssen jetzt eine Lösung anbieten, damit sich der Brandstifter nicht die Finger verbrennt.»