Der 53-Jährige sass gerade mit seiner Frau Sabine in einem Amsterdamer Café, als er am Mittwoch die Nachricht bekam. «Als wir gerade bestellen wollten, sah ich auf dem Display Schweden'. Ich guckte meine Frau an, wir lächelten ironisch». Der Ausspruch «Nimm das Telefon ab, es könnte Schweden sein», sei schon lange ein Running Gag zwischen ihnen. «Aber heute haben wir den Witz gar nicht gemacht».
List tat, was jeder in so einem Moment tun würde: Er machte ein Selfie. Der Chemiker ist nicht der Typ zerstreuter Professor, der im wahren Leben nicht zurechtkommt. Er spielt Tennis, schätzt guten Wein und entspannt sich mit Yoga. Er kann sogar Handstand.
List war schon als Schüler ein Forschergeist, mit seinem eigenen Chemielabor, in dem er mit Schwarzpulver experimentierte. Das hatte er wohl im Blut: Sein Ururgrossvater war Jacob Volhard (1834-1919), ein Schüler des Chemie-Pioniers Justus von Liebig. Seine Tante Christiane Nüsslein-Volhard, Entwicklungsbiologin und Max-Planck-Kollegin, erhielt 1995 ebenfalls den Nobelpreis.
Wissen, was die Welt zusammenhält
List selbst wurde 1968 in Frankfurt geboren und wuchs in einer grossbürgerlichen Familie auf. Als er drei Jahre war, liessen die Eltern sich scheiden. Er und seine beiden Brüder gingen in einen antiautoritären Kinderladen. Die Mutter vermittelte ihm die Einstellung: «Du kannst alles werden: Dirigent, Künstler oder ein berühmter Chemiker.»
Als er mit elf Jahren wissen wollte, was die Welt im Innersten zusammenhält, erschien ihm die Chemie zunächst als Königsweg: «Mein Verständnis war, Chemiker verstehen, woraus Materie ist und auch wie Materie sich verhält und verändert - und damit quasi alles», erinnert er sich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Als er dann dahinterkam, dass die Chemie doch nicht alle grossen Fragen beantworten kann, war er ihr schon verfallen.
Nach dem Studium in Berlin, der Promotion in Frankfurt und einem Forschungsaufenthalt in den USA kam er 2003 an das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Dort ist er geblieben - seit 2005 als Direktor.
Tsunami als Schlüsselerlebnis
Beruflicher Erfolg ist für ihn aber nicht alles - das weiss er spätestens seit Weihnachten 2004. Damals erlebte er zusammen mit seiner Frau und seinen damals fünf und drei Jahre alten Söhnen in Thailand den Tsunami mit. Sie sassen gerade am Swimming-Pool, als die Riesenwelle kam. Die Familie wurde auseinandergerissen, der Fünfjährige schwer verletzt. Den jüngeren Sohn fanden sie erst spät am Abend in einem 100 Kilometer entfernten Spital wieder.
Sie seien damals «unglaublich dankbar und glücklich» gewesen, einfach nur überlebt zu haben, erzählte List im vergangenen Juni in einem Podcast. «Was ich vor allem daraus mitgenommen habe, war dieses Gefühl zu wissen, worauf es wirklich ankommt im Leben. Und dass es eben nicht so wichtig ist, ob der Kollege A mich jetzt zitiert hat in seiner Arbeit oder welche Preise ich bekomme, sondern es ist eigentlich einfach, dass man gesund ist und dass die Familie da ist und es allen gut geht. Das ist eigentlich so, so, so viel wichtiger.»