Die Pubertät (von lateinisch pubertas, «Geschlechtsreife») ist die Zeitspanne, in der Kinder sich zu Jugendlichen entwickeln und geschlechtsreif werden, was mit beträchtlichen körperlichen Veränderungen einhergeht. Diese für die Teenager wie die Eltern oft herausfordernde Lebensphase beginnt immer früher: Bekamen die meisten Mädchen Mitte des 19. Jahrhunderts ihre erste Regelblutung (Menarche) mit 17 Jahren, ist dies heute häufig viel früher der Fall – das Durchschnittsalter bei der ersten Periode liegt bei etwa 12,5 Jahren. Auch Jungen, die mehrheitlich etwas später pubertieren, erleben ihren ersten Samenerguss (Spermarche) tendenziell früher.
Frühzeitige Pubertät ist nicht unproblematisch
Gänzlich unproblematisch ist das nicht: Psychosoziale Probleme nehmen mit dem sinkenden Eintrittsalter in die Pubertät zu, und auch das Risiko für Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Brustkrebs steigt. Der Grund für die Vorverschiebung der Pubertät – seit 1850 durchschnittlich drei bis vier Monate pro Jahrzehnt – liegt nach Ansicht von Experten vor allem in der verbesserten Ernährungslage der Bevölkerung. Laut einer italienischen Studie soll zudem die vermehrte Bildschirmzeit während der Coronazeit einen Einfluss auf den Beginn der Geschlechtsreife ausgeübt haben – die Strahlung der Geräte habe die Produktion des Hormons Melatonin reduziert, was eine frühere Pubertät begünstige.
Schon länger stehen aber auch bestimmte Chemikalien im Verdacht, den Beginn der Pubertät zu beeinflussen. Dazu gehört etwa Bisphenol-A, das eine ähnliche Wirkung wie das weibliche Hormon Östrogen hat und daher zu einer frühzeitigen Geschlechtsreife beitragen könnte. Bisphenol-A gehört zur Gruppe der sogenannten endokrinen Disruptoren, englisch auch Endocrine disruptive chemicals (EDCs) genannt. Dies sind hormonaktive Stoffe, die bereits in geringen Mengen das Hormonsystem verändern und die Gesundheit schädigen können, wenn sie in den Körper gelangen.
Neue Studie screent 10'000 Substanzen
Eine neue Studie hat nun den Einfluss solcher Chemikalien auf das Phänomen der Frühpubertät bei Mädchen untersucht und dabei «mehrere Substanzen identifiziert, die möglicherweise zu einer frühen Pubertät bei Mädchen beitragen», wie die Hauptautorin Natalie Shaw feststellt. Die pädiatrische Endokrinologin vom National Institute of Environmental Health Sciences (NIEHS) in Durham, North Carolina, beschreibt den methodischen Ansatz der Studie wie folgt: «Wir haben ein umfassendes Screening von etwa 10'000 Substanzen in der Umwelt durchgeführt und diese Chemikalien dann an menschlichen Gehirnzellen getestet, die am Fortpflanzungsprozess beteiligt sind.»
Verdächtiger Duftstoff
Eine dieser Substanzen ist etwa Moschus-Ambrette, ein 1888 entwickelter künstlicher Duftstoff, der in den USA immer noch häufig in Waschmitteln, Parfüms und Körperpflegeprodukten verwendet wird. Ebenfalls problematisch sind laut der Studie sogenannte cholinerge Agonisten. Dies ist eine Gruppe von Medikamenten, welche die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin nachahmen. Sie werden zur Behandlung von Demenz, Glaukom (Grüner Star) und als Hilfe zur Nikotinentwöhnung eingesetzt.
Während jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder im Alltag mit cholinergen Agonisten in Kontakt kommen, eher gering ist, gilt dies nicht für Moschus-Ambrette. Das Forschungsteam taxierte den Duftstoff als besonders besorgniserregend, da er in den USA – wo die Studie durchgeführt wurde – nach wie vor in vielen Körperpflegeprodukten enthalten ist, obwohl die US-Gesundheitsbehörde FDA ihn von der Liste der «allgemein als sicher anerkannten» Stoffe gestrichen hat. In Kanada und Europa gibt es hingegen strenge Vorschriften für seine Verwendung wegen seiner möglichen toxischen Wirkung. Tierversuche haben gezeigt, dass der Stoff die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.
Einfluss auf das «Pubertätsgen»
Die Studie hat jetzt nachgewiesen, dass Moschus-Ambrette Schlüsselrezeptoren im Hypothalamus aktiviert – einem Bereich des Gehirns, der unter anderem unser Gefühlsleben und Sexualverhalten beeinflusst. Namentlich handelt es sich bei diesen Rezeptoren um den Gonadotropin-Releasing-Hormon-Rezeptor (GnRHR) und den Kisspeptin-Rezeptor (KiSS1R). Letzterer bindet das Hormon Kisspeptin und wird durch das Gen KiSS1R kodiert, das auch als Pubertätsgen bezeichnet wird, da es wie ein Schalter eine Kaskade weiterer Gene aktiviert, welche die typischen Merkmale der Pubertät auslösen. Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass durch Moschus-Ambrette die sogenannte «Fortpflanzungsachse bei Kindern vorzeitig aktiviert» wird.
Folgestudien mit Zebrafischen
Das NIEHS führte Folgestudien durch, bei denen menschliche Neuronen im Hypothalamus und vergleichbare Gehirnzellen von Zebrafischen unter die Lupe genommen wurden. Hier zeigte sich, dass Moschus-Ambrette die Anzahl der GnRH-Neuronen und die Expression von GnRH deutlich erhöht. Die an der Studie beteiligte Genetikerin Menghang Xia sagt dazu: «Durch die Verwendung menschlicher Neuronen und derselben Zellen im Zebrafisch haben wir ein effektives Modell gefunden, um Substanzen zu identifizieren, die KiSS1R und GnRHR stimulieren. Unser Team hat gezeigt, dass wir auf diese Weise die Auswirkungen von Umweltstoffen auf die menschliche Gesundheit schneller und kostengünstiger abschätzen können.»
Endgültig bewiesen ist der tatsächliche Zusammenhang zwischen Moschus-Ambrette und dem verfrühten Beginn der Pubertät damit noch nicht. Weitere Untersuchungen sind gemäss dem Forschungsteam erforderlich, um die Ergebnisse zu bestätigen. Dennoch empfehlen die Wissenschaftler den Eltern, einen kritischen Blick auf die Kosmetikartikel zu werfen, die ihre Kinder häufig verwenden.
Vorsicht mit Kosmetikprodukten
«Diese Studie macht deutlich, dass es für Eltern wichtig ist, vorsichtshalber nur staatlich zugelassene Pflegeprodukte für ihre Kinder zu verwenden», warnt Shaw. In Europa, wo der Duftstoff in Kosmetikprodukten gar nicht erlaubt ist, sollten Eltern gleichwohl darauf achten, welche Inhaltsstoffe in vermeintlichen Trend-Produkten enthalten sind, die ihre Kinder im Internet bestellen. Dies gilt besonders dann, wenn diese Produkte in Form von Cremes, Tinkturen oder Parfums täglich auf die Haut aufgetragen werden. (dhr)