Iran löst Sittenpolizei auf – fällt auch bald die Kopftuchpflicht?
Kritikerinnen und Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten auf die Ankündigung. Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. «Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können», forderte er. Und dies sei «nur der erste Schritt.»
«Wichtiger Teilerfolg»
Beobachterinnen und Beobachtern zufolge würde die Auflösung der Sittenpolizei zwar kein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeuten, aber einen wichtigen Teilerfolg der Frauenbewegung im Iran darstellen.
Die Sittenpolizei war der Auslöser der seit über zwei Monaten andauernden systemkritischen Aufstände im Land. Mitte September verhafteten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini.
Unter ihrem Kopftuch sollen ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das islamische System und dessen Gesetze und Vorschriften.
470 Tote bei Demonstrationen
Seit dem Ausbruch der Proteste werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Grossstädten, zunehmend ignoriert.
Laut islamischen Gesetzen müssen Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen. Dieses Gesetz ist seit über 40 Jahren Teil der gesellschaftspolitischen Doktrin des islamischen Systems um, wie es heisst, «Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten».
Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, darunter 64 Kinder und 60 Sicherheitskräfte.
Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von 200, ein Kommandeur der Revolutionsgarden von 300 Toten. Ausserdem wurden in den vergangenen mehr als zwei Monaten Tausende verhaftet, unter ihnen Studierende, Journalisten, Sportlerinnen und Sportler sowie Kunstschaffende.
Einige Demonstrierende wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. Ab Montag sind landesweit weitere Proteste - und laut Oppositionskreisen auch Streiks - geplant.
(sda/mas)