«Unsere Kollegen vor Ort geben uns immer alarmierendere Augenzeugenberichte über das Leiden - einschliesslich immer mehr Berichten über hungerbedingte Todesfälle», sagte Guterres am Mittwoch bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Die Krise habe sich verschlimmert. Der Zugang für humanitäre Hilfe vor allem zur Krisenregion Tigray sei «stark eingeschränkt», müsse aber «ohne Behinderung» sichergestellt werden.
Die Regierung von Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed hatte im November 2020 eine Militäroffensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) begonnen, die bis dahin in der gleichnamigen Region im Norden Äthiopiens an der Macht war. Hintergrund waren jahrelange Spannungen zwischen der TPLF und der Regierung in Addis Abeba. Inzwischen sind weitere Akteure beteiligt, darunter eritreische Truppen und Milizen.
Zu einer erneuten Eskalation und Ärger bei UN-Chef Guterres führte vergangene Woche die beispiellose Ausweisung von sieben Mitarbeitern der Vereinten Nationen. Das Aussenministerium in Addis Abbeba warf ihnen Parteilichkeit vor. «Wir sind der Auffassung, dass Äthiopien gegen das Völkerrecht verstösst», sagte Guterres in einer seltenen, frei vorgetragenen Reaktion zum anwesenden UN-Botschafter Äthiopiens. Er verlangte Schriftstücke zu den konkreten Vorwürfen gegen seine Mitarbeiter. Zu Journalisten sagte Guterres nach der angespannten Sitzung: «Ich muss die Ehre der Vereinten Nationen verteidigen.»
Wegen des Konflikts sind Guterres zufolge gegenwärtig bis zu sieben Millionen Menschen in den Regionen Tigray, Amhara und Afar dringend auf Hilfslieferungen angewiesen. «Dazu gehören mehr als fünf Millionen Menschen in Tigray, wo schätzungsweise 400 000 Menschen unter hungerähnlichen Bedingungen leben.» Die TPLF beschuldigt die Regierung des Völkermords, während Abiy Ahmed der Organisation vorwirft, einen ethnisch motivierten Konflikt angezettelt zu haben. Zudem sprach Guterres von «zutiefst besorgniserregenden Berichten» über sexuelle Gewalt und andere Verbrechen an Frauen und Kindern.
Vorherigen UN-Angaben zufolge handelt es sich bei der Situation in Äthiopien um die schwerste Hungerkrise seit einem Jahrzehnt. Guterres zog am Mittwoch einen Vergleich mit der Hungersnot in Somalia 2011.
Auch die UN-Botschafterin der USA, Linda Thomas-Greenfield, wählte am Mittwoch deutliche Worte: «Es gibt keine Rechtfertigung für die Massnahmen der Regierung Äthiopiens, überhaupt keine.» Die Ausweisung der UN-Mitarbeiter sei rücksichtslos gewesen, das Vorgehen solle einschüchtern. Wenn die äthiopische Regierung ihren Kurs nicht ändere, müsse der UN-Sicherheitsrat Massnahmen gegen das Land ergreifen.