Russland hatte nach US-Medienberichten am Montag eine Anti-Satelliten-Rakete getestet und dabei einen seiner eigenen Satelliten abgeschossen, der noch aus der Sowjetzeit stammen soll. Damit habe Russland erstmals die Fähigkeit demonstriert, einen Satelliten mit einer von der Erde aus gestarteten Rakete zu treffen, schreibt die «Washington Post». Von russischer Seite hiess es zunächst lediglich, ein ausgedienter Satellit sei der ISS nahe gekommen.
Das Weltraumkommando (Space Command) der US-Streitkräfte teilte mit, der Test vom Montag habe bislang mehr als 1500 nachverfolgbare Trümmerteile in der erdnahen Umlaufbahn produziert. Vermutlich würden diese letztlich in Hunderttausende kleinere Trümmer zerfallen und «über Jahre und möglicherweise Jahrzehnte in der Umlaufbahn verbleiben». Dies bedeute «ein erhebliches Risiko für die Besatzung der Internationalen Raumstation und andere bemannte Raumfahrtaktivitäten sowie für die Satelliten mehrerer Länder».
Wegen einer möglichen Kollision mit Weltraumschrott wurde die ISS am Montag zweimal kurzzeitig geräumt. Der Kosmonaut Pjotr Dubrow sagte der russischen Staatsagentur Tass zufolge, die sieben Raumfahrer hätten sich in beiden Fällen in zwei an der Station angedockten Raumschiffen in Sicherheit gebracht. Maurer wechselte laut der Europäischen Weltraumorganisation Esa in die «Crew Dragon», mit der der Saarländer erst am Freitag vergangener Woche den Aussenposten der Menschheit erreicht hatte. Im Falle eines Zusammenstosses hätte die Besatzung so zur Erde zurückfliegen können.
Auch die Nasa teilte mit, die Astronauten und Kosmonauten auf der ISS hätten «Notfallverfahren für die Sicherheit» eingeleitet, nachdem die Flugsicherung sie wegen der Trümmer geweckt hatte. Die Luken zu bestimmten Modulen seien geschlossen worden. Als die ISS eine Trümmerwolke durchflogen habe, hätten die Astronauten und Kosmonauten sich in ihre Raumschiffe begeben.
Die «New York Times» zitierte aus dem Weckruf, der von Houston aus an die ISS-Astronauten ging. «Hey Mark, guten Morgen, entschuldige den frühen Anruf», habe ein Nasa-Mitarbeiter zu ISS-Astronaut Mark Vande Hei gesagt. «Wir wurden vor kurzem über einen Satellitenabschuss informiert und müssen euch bitten, das (entsprechende Rückzugsverfahren) zu überprüfen.»
Die US-Raumfahrtbehörde Nasa regierte umgehend. «Ich bin empört über dieses unverantwortliche und destabilisierende Vorgehen», teilte Nasa-Chef Bill Nelson mit. «Mit seiner langen und traditionsreichen Geschichte in der bemannten Raumfahrt ist es unvorstellbar, dass Russland nicht nur die amerikanischen und internationalen Partner-Astronauten auf der ISS, sondern auch seine eigenen Kosmonauten gefährdet.» Das Vorgehen sei «rücksichtslos und gefährlich und bedroht auch die chinesische Raumstation».
In einem Interview mit der «Washington Post» sagte Nelson weiter, er glaube, dass die Mitglieder der russischen Raumfahrtbehörde «nichts davon wussten. Und sie sind wahrscheinlich genauso entsetzt wie wir». Er wäre nicht überrascht, wenn «es das russische Militär ist, das sein Ding macht».
«Russland hat gezeigt, dass es die Sicherheit, den Schutz, die Stabilität und die langfristige Nachhaltigkeit des Weltraums für alle Nationen bewusst missachtet», kritisierte US-General James Dickinson. «Russland entwickelt und setzt Fähigkeiten ein, um den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten und Partnern den Zugang zum Weltraum und dessen Nutzung aktiv zu verweigern.»
Der Test zeige deutlich, «dass Russlands Behauptungen, es lehne die Militarisierung des Weltraums ab, unaufrichtig und scheinheilig sind», sagte der Sprecher des Aussenministeriums, Ned Price. «Wir wollen, dass der Weltraum internationalen Normen und Regeln unterliegt, damit er von allen raumfahrenden Nationen auf verantwortungsvolle Weise erforscht werden kann, und dies war ein unverantwortlicher Akt», sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby.
Auch der republikanische Abgeordnete des US-Bundesstaates Alabama, Mike Rogers, zeigte sich besorgt. «Der Weltraum ist bereits zu einem Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen geworden», sagte er. Rogers gehört dem Streitkräfteausschuss im Repräsentantenhaus an.
Russland wies die Vorwürfe zurück. «Diese Aussagen entsprechen nicht der Wirklichkeit», sagte Juri Schwytkin, Vize-Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, am Dienstag der Agentur Interfax. Der Fantasie des US-Aussenministeriums sei keine Grenze gesetzt. «Wir haben uns immer gegen die Militarisierung des Weltraums ausgesprochen», sagte der Abgeordnete.
Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos teilte mit: «Für uns war und ist die absolute Sicherheit der Besatzung oberstes Gebot.» Das russische Warnsystem für den erdnahen Weltraum überwache weiterhin die Lage, um mögliche Bedrohungen für die Raumstation und die Besatzung zu verhindern. Russland arbeite seit Jahrzehnten mit internationalen Partnern in der Raumfahrt zusammen.
Tass berichtete, der Generaldirektor der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, werde an diesem Dienstag in Moskau mit Nasa-Vertretern zusammenkommen. Bei dem bereits seit längerem angesetzten Treffen werde es nun auch um den Vorfall vom Montag gehen.